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beides so rein und groß, so echt und human? Klingt nicht, wenn je etwas wie Sündenerkenntnis sich regt und die Gedanken kommen wollen, die sich anklagen, und die Augen nicht sich aufschlagen mögen, wie Sphärenmelodie das Wort: „Was vorbei ist, nie bereu es, schlagend an die wunde Brust, schaffe nur ein tüchtiges Neues und vergiß den alten Wust“. So kann man sich gar ruhig dem Gemeinen ergeben, weil edelste Darstellung es entsühnt und geheiligt hat, über die Kulturlügen von Sittlichkeit und heilsamer, weil pflichtiger Askese wie Eherecht und Ehepflicht und Ehezweck sich lächelnd, ja in frommem Beschauen hinwegsetzen und in andächtiger Auslebung des Ich fromm sein. Sagt uns nicht ein Großer im Reiche der Bildung (Paul Heyse): „Die sogenannte religiöse Weltanschauung ist ein schmutziges Wasser, in welchem geistesarme Theologen seit Jahrhunderten ihre schmutzige Wäsche waschen, Märchen und Legenden, das Christentum eine Summe von kindischen Spielereien, kleine Komödien, die wir täglich mit dem höchsten Wesen aufführen und selbst mitspielen, bis wir ernsthaft werden!“ – Fromm sein heißt Mensch sein und nichts Menschliches von sich fern halten. Wie verführerisch stellt es Spielhagen dar in seinem Sterbelied: Die Pfarrfrau pflegt ihren todkranken, schwindsüchtigen Mann, während vom Nebenzimmer sinnenberauschende Liebkosungen an ihr Ohr dringen. Wie ersehnt sie die frohe, freie glückliche Liebe! Aber dem Sterbenden betet sie vor: Freu dich sehr, o meine Seele und vergiß all Not und Qual! Raffinerie des Fleischeskults, Hohn auf alles wahrhaft Große, Jauchzen der Bacchanten in wilder Lust, dann wieder ekstatische Rufe: „Lieber, einziggeliebter Mann, mein ein und mein alles, mein Herr und mein Gott, mein Leben und meine Welt!“ Mir hat unlängst ein ehemaliger Theologe Thomas’ Ausruf dem erstandenen Herrn entgegen als Sinnenrausch erklärt! Seine Frau nenne ihn ja auch ihren Gott! –

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 Weil das nicht Sünde ist, was Sünde schien, und nur Entfaltung edelster Natürlichkeit heißt, was als Verirrung gebrandmarkt wurde, wird der Jugend geraten, sich das zu gönnen, was ihr nicht versagt werden dürfe, da sie ein Recht auf Liebe habe, so wird die première d’amour in den leuchtenden Farben der Anmut dargestellt. Erst jüngst hat die „Jugend“ eine aus dem Leben gegriffene Erzählung gebracht, wie ein junger Mann sich verwundert habe, beim Erwachen ein hübsches Mädchen in seinem Schlafzimmer zu finden, von dem er nicht wußte, woher und wozu es gekommen sei. Er hielt es für das neue Dienstmädchen, wunderte sich, daß sich die Fremde so ungeniert in seinen Räumen bewege. Da dämmert ihm die Erinnerung an eine freundliche Mädchengestalt auf, die er gestern in einem Laden gesehen, angeredet, zur Begleitung aufgefordert habe. Mit einem Raffinement, das im Andeuten und Verschweigen gleich groß ist, wird nun geschildert, wie unrechte Vorgänge allmählich in der Erinnerung wieder aufleben, aufblühen. Alles ist so morgenfroh und jugendfrisch, der Mann ist seiner inne geworden. Daß ein Menschenleben vielleicht auf immer zerstört ist, ein teuer erkauftes