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auch nicht mit jenem geistreichen Franzosen, daß wir alle als Originale geboren werden, um als Kopieen zu sterben. Allerdings werden wir als Originale geboren, aber als verzerrte, doch die Gnade muß schenken, daß aus den Zerrbildern Sein Gnadenbildnis wieder erstehe. Diesen Zug, der sich im einzelnen Menschen, aber wieder in anderer Form, ausprägt, irgend zu verwischen, ist Frevel gegen den Herrn der Individualität. Nicht alle können alles. Der Herr der Geister teilt Gaben und Kräfte verschieden aus. Diese geheiligte Natürlichkeit als ein Gnadengeschenk zu wahren, ist Pflicht der Diakonie, weil sie auf lutherischer Lehre ruht, welche möglichste Weitschaft innerhalb des Gnadenreiches gelten läßt. Wenn eine Persönlichkeit von der Gnade erfaßt ist, dann mag sie ruhig ihre Wege gehen, auch wenn es einsame Wege sind. Wenn die einzelne Persönlichkeit von dem Herrn ergriffen ist, und man spürt, daß sie dem Herrn danken will, dann soll man an dies Geheimnis nicht rühren, man möchte es sonst entweihen. Jene geheiligte Natürlichkeit aber untergibt sich naturgemäß immer wieder heiligender Zucht. Die Zucht ist auch dem Christen notwendig und muß in der Kirche gehandhabt werden. Wir sind eine Versammlung von sich Heiligenden. Wir sind noch nicht heilig, aber wohl uns heiligend: Denn Sich Heiligende mögen nie ohne Zucht sein.

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 Meine Augen sehen stets zu dem Herrn. Man weiß sich beobachtet und innerlich geregelt von dem königlichen Gesetz des Herrn. Dies königliche Gesetz prägt sich aber in den äußerlichen Ordnungen aus: Man merke: Es kann jemand mit guten Werken um und um behangen und doch im Kern faul sein, und es kann einer voll verkehrter Werke sein, innerlich aber regt sich bereits die siegende Lebensmacht der Gnade. Es kann jemand mit Werken gekrönt sein; aber die guten Werke sind nicht organisch mit ihm verbunden. Es kann jemand geringe gute Werke tun; aber sie können erflossen sein aus der Liebe Christi. Wenn eine Seele gute Werke tun will, ohne sich um die geheiligte Zucht zu kümmern,