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weil der Pietismus Früchte von einem noch nicht ausgereiften Baume verlangte und die Ernte ernötete. Es wäre die Kirche zum Konventikel geworden, frommer, aber nicht freierer Art. Der gute Baum war noch nicht stark genug, gute Früchte zu tragen. Der Herr hat diese Gefahr gnädig zurückgehalten. Wir wollen nun wahrlich nicht an die frommen und im Reiche des Herrn helle leuchtenden Namen eines Spener und Francke anders als mit Dankbarkeit denken, vielmehr den Vater aller Geister und Geber der guten und vollkommenen Gaben preisen, daß Er auch diese Männer unserer Kirche geschenkt hat; aber wir müssen betonen, daß der Pietismus mit seinem Drängen auf Leben und Werke ernstlich, ob auch unbewußt, Vorarbeit tat der bekannten schauerlichen Trias: „Gott, Tugend und Unsterblichkeit“ des Rationalismus. Gott hat es in Seiner Gnade den treuen Männern des Pietismus erspart, ihre Kinder zu sehen. Aus der einseitigen Geltendmachung der sich heiligenden Persönlichkeit, dem ganzen subjektivistischen Christentum, das sich oft in Konventikel und kleine Kreise vor der Welt flüchtete, das mit der Welt nicht vermengt sein wollte, kommt die Gefahr der Unterschätzung der reinen Lehre. Man verwechselte fromm und gehorsam wie in unseren Tagen: Ehrerbietung gegen die rechte Lehre eben ist Grundbedingung aller Frömmigkeit.

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 Die Unterschätzung der Kirche – aber als Hüterin reiner Lehre – führt wiederum zur Überschätzung des Ich aus leicht erfaßlichen Gründen. – Man verkennt das Gewicht der Ordnungen, die von Ihm herrühren und durch den Heiligen Geist angedient werden, der im Besitze lauterer Wahrheit dieselbe ausmünzen, anwenden, brauchen, einordnen heißt und läßt: man zieht sich zurück auf das Ich der Persönlichkeit und ihrer Stellung zu JEsu Christo. – Aber das einzelne Ich, durch einen Gnadenakt gerettet, verlangt nach Gemeinschaft des Bekennens, nicht bloß des liebenden, sondern auch des kämpfenden und streitenden. – Das aber ist die Kirche. – Es gibt immerhin zu denken, daß der erste Kritiker des Neuen Testamentes Hallenser Pietistenkreisen entstammt,