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man sie spöttisch als „Lutheraffen“ gegeißelt hat, sondern um Jesu willen, dem ihr Tun galt. Es mag in dieser Treue zu weit gegangen und in der Betonung des Lebens zu wenig getan worden sein, nimmer aber war es ein Ausbiegen vom rechten Weg. Es war vielleicht eine zu einseitige Art, aber falsch war es nimmer, so daß wir mit allem Ernst um der Treue willen gegen unsere Kirche den Vorwurf der toten Orthodoxie zurückweisen müssen.

 Es darf doch nie außer Augen gelassen werden, welche Schätze auch frommer Betrachtung diese Zeit ans Licht des Tages gefördert hat. Denn Joh. Arndt und Heinrich Müller, ob sie auch einer gewissen unverständigen „Rechtglauberei“ gegenübergestanden, haben doch die „tote Orthodoxie“ hochgehalten und ihr unverlierbares Recht auf gesunde Innerlichkeit und gereinigte Mystik geltend gemacht. Man muß nämlich wohl merken, daß mit dem Tadel der erstorbenen Orthodoxie nicht bloß Bewegungen getroffen werden, welche, wenn sie von der lutherischen Kirche nicht zu guter Zeit erkannt und erdrückt worden wären, allerdings zu einem „Buchstäbeln“ würden geführt haben, sondern alle jene Bewegungen fallen unter das Gericht, welche in Luther nicht die berühmten zwei Figuren kennen, den Mann vor Worms, den eigentlichen „Reformator,“ den Mann nach Worms, dem die „Mönchskutte wieder um die Füße schlug,“ als er sein großes Bekenntnis vom Abendmahle ablegte.

 Jenes Wachen über Reinheit hatte auch zur Folge, daß keine einzige Sekte in unserer Kirche den Mutterboden gefunden hat. Aus der römischen Kirche kommen Sekten, mehr gewiß, als jene Kirche selbst weiß und ahnt – nur werden die Regungen bald zum Schweigen gebracht –, aus der reformierten sind viele erwachsen, aus der lutherischen keine, man müßte denn auf die Herrnhuter hinweisen, welche durch Personalunion mit unserer Kirche verbunden sind, in so fern als ihr Gründer, Graf Zinzendorf, der lutherischen Kirche entstammte. Aber letztlich ist doch auch