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pflegt er gegen sich selbst zu sein und umgekehrt: je ernster wir gegen uns kämpfen, desto barmherziger sind wir gegen andere. Je mehr wir wissen, was zum Kampfe gehört, desto milder werden wir gegen die Kämpfenden, während wir rücksichtslos sind gegen die, welche überhaupt nicht kämpfen mögen sondern sich gehen lassen. Man hält das für christliche Liebe, wenn man überall Rücksichten nimmt und für Milde, wenn man sich fürchtet anzustoßen. „Goldene Rücksichtslosigkeit, die reinigt wie ein Gewitter,“ hat ihre volle Berechtigung. Man kann nimmer zur Verstellung sagen: du bist Offenheit, noch zur Lüge: du bist Wahrheit, zu allen möglichen Unterströmungen nimmer: du bist Klarheit. Hier muß der Mut der einzelnen Persönlichkeit einsetzen. Ich weiß wohl, es ist schwer: mutig sein in Christo. Mutig sein von Natur ist nicht allzu schwer. Vor Ihnen liegt das Leben mit seinen ernsten Aufgaben jetzt ganz aufgeschlossen. Sie sind alle in der Höhe menschlichen Alters, daß Sie wissen: das Leben birgt viele Abgründe, die tiefsten im eigenen Inneren. Seien Sie streng gegen sich, und versagen Sie sich alle Wünsche, die nicht unbedingt zur Arbeit und zum Beruf gehören: um deren Heiligung Sie nicht frohen Mutes beten können. Das die Sache fortgeht, ist notwendig, aber die einzelnen können verschwinden. Ringen Sie darnach, sich möglichst wenig zu gönnen, zu erlauben. Es ist doch ernste und treugemeinte Warnung! „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist.“ O meine Schwestern, das wäre für uns der reichste Lohn, daß wir Sie alle strenge gegen sich selbst erblickten. Man muß nicht gleich alle Schwierigkeiten so betonen und müde zurückweichen. Den Mutigen gehört die Welt. Was kann der Mensch alles wünschen! Was hält er letzlich für notwendig, und wie arm kann man doch durch die Welt gehen, wenn man nur Ihn hat! Das Geheimnis der willigen, nicht der durch Gelübde erzwungenen Armut schenkt der Herr jeder Seele, die auf Ihn wartet.