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Schmerzes durchfurcht, mit der Angst des Sterbens gequält, hat er gerungen mit der Wirklichkeit des Leidens: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matth. 27, 46.) Der schmerzlichste Tod am Kreuze! Was war das für den heiligen, so fein angelegten Herrn, bei dem, daß ich menschlich rede, jeder Nerv heilig und jedes Teilchen seines Leibeslebens verklärt war, daß ihm solches durch Mark und Bein schneidendes Weh widerfuhr! Denn all die Nägel trieb ihm die Sünde ins Fleisch, und all die Marter tat ihm die Gottesferne an, und er hat es gelitten, so daß er nicht mehr einem Menschen ähnlich war: „Wir sahen ihn, da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.“ (Jes. 53, 2.) Nichts von verklärten Leiden, nichts von gloriosem Schmerz, nichts von triumphierender Größe der in sich selbst abgeschlossenen Leidensstärke, sondern: „Ich bin ausgegossen wie Wasser, ich bin vertrocknet wie ein Scherbe.“ (Ps. 22, 15 u. 16.) „Ihr Menschen, seht, ob ein Schmerz sei wie mein Schmerz, der mich getroffen hat.“ (Klag. 1, 12.) Wahrlich, der schmerzlichste Tod am Kreuze! Und die Kirche weiß: er ist deswegen am Kreuze erhöht, damit er aller Welt sichtbar würde. Bis auf diese Stunde steht mitten in der Welt der Kunst und der Schöne, mitten in der Zeit der Ästhetik, mitten in einem Geschlechte, das so reich an Zartgefühl ist, unansehnlich, alle Schönheitsempfindung zum Protest herausfordernd, das Kreuz, und am Kreuze hängt Gottes eingeborner Sohn, dessen Kreuzestod so aller Welt sichtbar wird. Seht, was für ein Leid ist das! So oft wir die Passion Jesu Christi bedenken, geht es uns durch die Seele, daß er, zwischen Himmel und Erde schwebend, in seinem Schmerz und seiner Schmach allen sichtbar wird; alle, die da vorübergehen, schütteln den Kopf und sprechen: „Andern hat er geholfen, ihm selber kann er nicht helfen!“ (Matth. 27, 42.) Und so unmittelbar an des Zweifels Grenze, so herausfordernd in des Widerspruches Größe und Gewalt ist dieses Kreuz hingestellt. Ist das Gott? Kann