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Kol. 1, 18-20.
Gekreuziget!


 Es gibt kein Wort in der deutschen Sprache, das so verschiedenartige Empfindungen erweckt, als das erst in unserer Sprache entstandene, geschaffene, gleichsam von Gottes Geist geborene Wort: „Kreuz.“ Wir denken an das Schwerste, was dem Menschen auferlegt werden und widerfahren kann; wir denken an das Größte, was für den Menschen getragen und geschehen ist; wir denken an das rauhe, harte, einschneidende Holz, das auf unsere Schultern drückt und uns bis aufs Herz verwundet; wir denken wiederum an den großen, seligen Sieg, der am Kreuz errungen und von ihm gefestigt worden ist. Wir scheuen uns, dies Wort ins Leben zu nehmen und freuen uns, dies Wort im Leben zu haben. Wir ängsten uns um dieses Wort und wir danken, daß dasselbe Wort den höchsten Trost und die größte Freude nicht nur, sondern auch den ewigen gewissen Frieden, der die Welt überwindet, verbürgt und versiegelt. Nehmt das Kreuz Jesu Christi aus eurem Leben, dieses mißfarbene, mißgestaltete Holz des Fluches und der Schmach, und wenn euer Leben mit Rosen bekränzt und von Glanz erfüllt und von irdischer Majestät überstrahlt wäre, es bliebe doch ein Leben voll ungelöster Widersprüche und voll der schwersten Rätsel ohne Lösung und ohne Kraft. Seitdem aber in diese arme Welt das Kreuz eingesenkt ist – Zeichen der Schmach und des Sieges, Inbegriff der Torheit und der Weisheit, göttlicher Torheit und darum göttlicher Kraft – seitdem sprechen wir: nichts ist größer, freudiger und friedsamer als das Kreuz, und, unter dem einfachsten Worte des Glaubensartikels stehend, sagen wir heute: Gekreuziget! Jesus trug das Kreuz und litt das Kreuz und verklärte das Kreuz.