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persönlich getragen hätte. Wen er frei macht, der soll wissen: ich bin frei geworden durch die Gebundenheit eines Freien. Frei werden durch einen Freien, das ist menschlich; befreit und erlöst werden durch einen, der aller Bande los und ledig ist, das ist begreiflich. Aber frei werden dadurch, daß ein anderer sich bindet und sich binden läßt mit allen Fäden an die Welt, mit allen Fesseln an die Hölle, mit allen Schrecken an den Tod – das ist Gottes!

 Wie sinkt die Gestalt des freigelassenen Römlings, des armseligen Pilatus, des Mannes, den eine vornehme Familie in ihren Umkreis aufnahm, vor der Gestalt und der Gewalt des Nazareners in ein Nichts zusammen! Und neben Pilatus stehen alle die geschichtlichen Größen, die Befreier der Völker, die Erlöser von Irrtum und Täuschung, die Entdecker, die Erfinder, die Eroberer – wie verklingen und verblassen auch ihre Namen vor dem, der über alle Namen ist, der da eine ewige Erlösung erfunden, der durch die Flucht und den Fluch der Sünde das Paradies uns entdeckte, der uns die Heimat vererbt hat, da er die Niederlage am Kreuze erlitt, der uns aus unserer Knechtschaft durch seine Gefangenschaft befreite. Alle geschichtlichen Größen, die ihr mit Goldbuchstaben in den Büchern der Geschichte ausgezeichnet findet, sinken zusammen, wie nur je ein leiser, loser Gedanke vor der ewigen Wahrheit zerstiebt. Hier ist der, der euch recht frei macht. Denn alle Eroberer, Entdecker und Erfinder haben eine kleine Freiheit aufgetan und hinter ihr gähnte schon neue Knechtschaft.

So hoch war nie ein Mensch gefürstet,
So auserkoren war kein Mann,
Daß, wenn die Welt nach Freiheit dürstet,
Er ihr die Freiheit geben kann.

 Nur einer erhebt sich mit gebundenen Händen am Kreuzesstamme und ruft: „Kommt her zu mir alle, die ihr gebunden,