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 Wie arm ist die Seele, wenn sie leidet! Wie klein erscheint dir die Gabe, wie groß aber erscheint dir der Schmerz! Wie klein ist die Seele, wenn sie krankt! Dieselben, die mit hochtönenden Worten von Gott sich lösen können, sind ganz zerknirscht, wenn sie Zahnweh haben. Seht, für solche Leute ist Jesus gestorben. Wenn man denkt, daß der Herr Himmels und der Erde, dem alle Lobgesänge zu wenig und alle Lobsprüche zu gering sind, um Fischer, Schiffer und Zöllner sich kümmerte; wenn man nur eine Minute sich besinnt, wie er in ein enges, dumpfes Leben nicht nur sich hineindenkt, sondern sich hineinlebt und das zu seines Lebens Inhalt macht, dann begreift man, was leiden heißt.

 Wenn ein Fürstensohn sein Leben lang unter armseligen Tagelöhnern und unter ihren kleinen Sorgen hinbringen kann und ihre Sorgen teilt: Das tägliche Brot, das tägliche Arbeitsfeld, eine kleine, armselige Erholung und dann das Sterben, – dann rühmt man ihn, der es über sich gewann, solchen Leuten solche Dienste zu erweisen. Und hier ist der Sohn des Himmels, der Hohe, Reine, der König der Ehren, der Herr der Majestät und läßt sich in die engen Vorstellungen und in den niederen Gesichtskreis und in die Armseligkeit des Menschenlebens hineinbauen; und nie ist es ihm zu viel. So ist er für uns Gottlose ins Leiden gegangen.


III.

 Und wozu hat er gelitten? Unser Herr hat sein ganzes Leben, vom ersten bis zum letzten Tage, dazu hingebracht, daß die Menschen an die Liebe Gottes glauben. Sie haben sie wie eine ferne Mär erfahren und gehört; sie ward ihnen wie ein verlorenes Paradies gezeigt, es klang so sagenhaft: Gott liebt uns. Da ist er selbst gekommen und hat die Liebe darin gezeigt, daß sie litt. Denn die Liebe ist nie größer, als wenn sie das Leid des Nächsten ganz ins Eigene hereinnimmt und wenn sie mit dem Nächsten das Kreuz teilt. Was sie ängstete, das ängstete ihn auch; was die