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er sie nicht tief in sein Leben hätte einschneiden fühlen. Nie hätte er mein ganzes Dasein wirklich frei machen können, wenn er nicht in die Unfreiheit des Menschenlebens hinabgestiegen wäre. Das ist die Notwendigkeit: der Arzt, um recht zu helfen, muß aller Krankheiten kundig, und der Befreier, um recht zu lösen, muß aller Bande teilhaftig sein, und der Held, um recht zu streiten, muß alle Feinde kennen. Lob sei dir, ewig, o Jesu!


II.

 Und nun die Möglichkeit der Menschwerdung.

 Kann Gott Mensch werden? In dem ersten Kapitel, in dem die hl. Schrift die Menschheitsgeschichte beginnt, heißt es: „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ (1. Mos. 1, 27.) So stand der Mensch in der Idee vor Gott, so hatte Gottes Liebe des Menschen Bild erfaßt; jeder Zug seines Leibes, jede Ader seines Körpers, jedes Teilchen seines irdischen Lebens stand klar und rein vor Gott. Und, nachdem er diesen Gedanken bis in seine feinsten Verästelungen durchgedacht hatte, schuf er den Menschen. Es war nicht ein Versuch, es war nicht, wie etliche wähnen, ein Spiel der göttlichen Laune. Es war, daß ich rede, eine furchtbare Arbeit; denn er schuf sich ja den, der ihn tausendfach betrübte. Es ist die größte Selbstlosigkeit Gottes, daß er ein Wesen ins Dasein ruft, das, für ihn eine Quelle unsäglichen Leides, für ihn die Kraft wurde, ihn vom liebsten Sohn zu scheiden. Es war eine Tat, über die man sinnen, ja sich zersinnen möchte. Gott schuf den Menschen; und als er ihn geschaffen hatte, war alles sehr gut. Gott schuf den Menschen, daß er ganz rein war, und eben deswegen kann Jesus Mensch werden, denn der Herr Jesus ist der zweite Mensch, der über die Erde ging ganz nach Gottes Bild und Willen in seiner heiligen Menschlichkeit. Kein einziger gottfremder Zug, ebensowenig wie in dem erstgeschaffenen Adam; sein Auge war ganz rein, sein Ohr war ganz