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hat? Wie ist es denn dann, wenn er einen Menschen frägt, der sein Herz durch Selbstliebe und Selbstlob und Selbstsucht so verengt und zusammengeschnürt hat, daß nicht einmal ein Mensch darin wohnen kann, geschweige Gott selbst? Wie ist es dann? Es gilt nicht, daß man sagt: ich habe über dich viel gelesen, über dich sehr viel gehört, Meister, ich habe über dich sehr viel nachgedacht, ich bin nicht dort gewesen, wo man dich leugnete und habe mich zu rechter Zeit zurückgezogen, wenn man deiner spottete. – O, ich sage euch, die Leugner werden eher Gnade finden, als solch Laue! Seine erbittertsten Feinde werden eher zu seinen Freunden, als die Gleichgültigen, diese Durchschnittschristen, die so fleißig zur Kirche gehen. Nein, es ist ein furchtbar ernstes Wort: Seele, kannst du noch etwas außer dir lieben? In der Todesstunde sich allein lieben müssen, mein Christ, das heißt, geistlich verwesen.

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 Und so, wie er dich und mich fragt, jede einzelne Seele fragt, so fragt er auch die Völker, die Weltgeschichte, die er erlöst hat, die Politik, für die er gestorben ist, die ganze Weltbewegung, die ihn ans Kreuz gebracht hat, sie alle wird er fragen: „hast du mich lieb?“ Weltanschauung hast du mich lieb? Völker der Erde, habt ihr mich lieb? Nicht: habt ihr mir Dome, Kathedralen, Gemälde geschaffen, Tonwerke zugeeignet, mir zu Ehren erfunden, nicht, habt ihr christliche Schulen gegründet, das ist alles Nebensache, das sind nur Begleiterscheinungen, die vielleicht nicht im tiefsten Grunde wurzeln – es gibt auch christliche Kunst ohne Christum –, sondern nur: hast du mich lieb? Das ist das einzige Wort, ach, die kurze Frage, die doch eine Welt von Seligkeit und voll Unruhe in sich birgt. Es ist ein gar gewaltig Wort, an dem man so oft und leicht vorbeigeht. Und doch, wie es bei Matth. 25 heißt: „und die Tür ward verschlossen.“ Wenn das einmal der Fall sein wird, wenn der Richter, da man ihm die Antwort schuldig blieb, zwischen uns und sich eine arme, schwache Türe stellt, dann dringt kein Flehen mehr durch und kein Klopfen erreicht ihn mehr und