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Jesus mit der einzelnen Seele, mit der Seele des Volkes, der Volksseele und mit der ganzen Weltgeschichte, vom ersten Tage an bis zum letzten anhebt, nicht als äußerliches deuten. Es handelt sich um eine einzige Frage, um die Frage, die er einmal schon gestellt hat, damit man weiß, wie er einmal richten wird. Als er erschien im Frührot der Auferstehungsmajestät, umsonnt und umstrahlt von der Herrlichkeit des Todessieges, ganz erfüllt von der Gewißheit seiner baldigen Heimkehr zum Vater, ist er, wie ihr alle wißt, dem Jünger erschienen, der ihn verleugnet hatte. Wenn wir mit einem Menschen, der uns enttäuscht, betrogen, schwer gekränkt hat, abrechnen und ihn richten, haben wir gar nicht Worte genug. Da werden Proben unseres vorzüglichen Gedächtnisses abgelegt, da werden Reden geführt, die in Gift getaucht sind, da weiden wir uns an der Niederlage dessen, der uns betrog, und uns erquickt die Ärmlichkeit dessen, den wir jetzt demütigen dürfen. Aber dein Herr und Heiland, der da die Macht hatte, einen ungetreuen Jünger zu zerwerfen und zu verstoßen, hat eine einzige Frage an ihn gerichtet, in der Weltgericht und Weltrettung zugleich beschlossen liegt, eine Frage, ob der Kompaß seiner Seele noch nach einem ewigen, seligen Punkte gravitiere, oder ob sein Leben sich innerlich bereits von ihm gelöst habe: „Simon, Jonas Sohn, hast du mich lieb?“ (Joh. 21, 16.) Nicht mehr und nicht weniger, nur die einzige Frage, in der das Ergebnis von fast vier Lehrjahren, in der die Erfahrungen von vier Wanderjahren, in der eine Summe von Gnade als Erinnerung auftauchte und eine Summe von Sünde als Schrecken nachdrängte: „Simon, Jonas Sohn, hast du mich lieb?“

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 Eine andere Frage wird er auch an dich und mich nicht richten, wenn er uns begegnen wird, wenn wir ihn sehen werden, wie er ist. Wir sollen nicht glauben, daß der König, dem jedes Wort unserer Lippen bewußt, und jeder Gedanke unserer Seele klar und jeder Zug unseres Wesens offenbar ist, mit uns ins Einzelne ginge;