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 Und wer von der Arbeit ließe, um zum Genusse zu gelangen und die Last des Lebens über seiner Lust vergessen wollte, der würde bald gewahr, daß die Welt mit ihrer Lust vergeht. Es ist auch eitel und Jammer. „Alles Fleisch“, sagt der Herr aus der tiefen Erkenntnis von Erdenwesen und Menschenwerten in Rückblick auf alles Große, was geschehen ist, und im Ausblick auf das, was noch geschehen, soll, „bis an die Enden der Erde.“ Es ist das göttliche Erbarmen, das ihn so sprechen läßt, nicht nur das Wissen um das elende Leben und nicht allein das Gedächtnis daran, daß wir Staub sind. Denn er weiß, welche Not das Menschenherz erfüllt und bewegt und da er aller Dinge seinen Brüdern gleich geworden ist, hat er auch das Weh der Erfolglosigkeit getragen: ich dachte, ich brächte meine Zeit unnützlich zu.

 Und darum, weil die ewige Allmacht aus herzlicher Herablassung in die Ohnmacht eingegangen ist, und Fleisch ward, zu dem allem, was Jesus unter Fleisch und Leid versteht, eingekehrt ist, hat ihm Gott Macht über alles Fleisch gegeben, nicht es zu richten, denn es ist an sich und in sich wahrlich genug gerichtet, sondern es zu retten und zu trösten, aus der Trauer zu reißen und mit Freude zu erfüllen, indem er das heilige Geheimnis der Wiedergeburt die erleben läßt, die zu ihm flohen.

 Wie aber das „alles“ jedes Leben einschließt, ob es in äußerem Glanze oder in Nacht und Traum auch äußerlich hingebracht wird, so umfaßt das Erbarmen alle, die sein begehren. Da ist kein Schächer so verkehrt und verloren, daß nicht die Gnade in letzter Stunde zu ihm sich wende und auf ein verlorenes und verurteiltes Gestern ein gnadenvolles Heute folgen lassen könnte, in dessen stillem Glanze ein verlorenes Paradies sich öffnet und aus Vergebung, Leben und Seligkeit über wüstes Land hinströmt. Da ist kein Denker so hoch, daß ihn nicht das unausdenkbare Erbarmen entwaffnete und einladen könnte Kind zu werden, um Erbe zu sein. Da ist Saulus ein Lästerer, Verfolger und Schmäher, die Stunde von Damaskus erreicht ihn, und das heilige Also gibt seinem Leben den wahren Inhalt und den ewigen Wert.

 Macht über alles Fleisch in Christi Händen! Das ist die alle Seelsorge erfüllende Kraft und der alle ihre Angst beschämende Trost. Die unsrer Sünde und Schwachheit, unserer Fehlsamkeit und Lauheit befohlenen Seelen sind einer ewigen, alles umfassenden, niemanden ausschließenden, alle zu tragen bereiten und geschickten Gotteskraft anvertraut, die viel tausend Weisen hat und kennt, aus dem Tode zu retten. Sie kann die Trotzigen zerbrechen und ihrer mächtig werden, ein geringes Wort zu einer festen Burg machen, dahin Verzagte sich retten, kann dem Widerstand und dem Abfall wehren, Dämme aufwerfen und Wehren niederreißen, Tore auftun und zuschließen. Sie befiehlt dem Worte, daß es nicht leer zurückkomme, und wehrt dem Feinde, der es aufhalten will.