Seite:Hermann von Bezzel - Betrachtungen über das Hohepriesterliche Gebet.pdf/36

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, sondern daß du sie behütest vor dem Übel.

 Wie einfach wäre es doch gewesen, wenn der scheidende Herr auf den Verspruch der Jünger „und wenn ich mit dir sterben müßte, wollte ich dich doch nicht verleugnen,“ auf die Thomasmahnung „Laßt uns mit ihm ziehen, daß wir mit ihm sterben“ nach Art der Jünger geantwortet und sie dem Elias gleich in den Himmel entrückt hätte oder wenn er sie wenigstens durch Leiden alsbald zur Herrlichkeit würde erhoben haben. Dann hätte alle Not ein Ende, das hohepriesterliche Gebet wäre dem königlichen Machtwort und dem Lobe des Überwindens gewichen. Ja wohl hätte die Not ein Ende, aber die Arbeit auch – und die Unreife der Jünger, da doch Fleisch und Blut das Himmelreich nicht erben kann? Und die zur Erlösung bestimmte, aber auch nach ihr sich sehnende Welt? Und endlich das „es ist vollbracht“ am Kreuze mitten im ärmlichsten Stückwerk.

 Dem Weltschmerze, der zur Arbeit lässig und aus Lässigkeit unfähig ist, dem Mitleide mit dem eignen Ich, dieser Bequemlichkeitssünde der Gedankenlosen, dem verträumten Wesen, das, ohne sich angestrengt zu haben, den Lohn anspricht, der nur dem wird, der recht kämpft, tut der Heiland, der die Sünde der Welt getragen und die Welt überwunden, aber ihre Angst noch gelassen hat, in heiliger Nüchternheit Bescheid. So wie er den Leidenskelch allein und völlig geleert hat – indes war niemand bei ihm in seinem großen Leid – und nicht früher aus der Welt scheiden wollte als bis alles vollendet und die Schrift in Geheiß und Verheißung erfüllt war, so bittet er nicht für die Seinen um alsbaldige Entrückung aus der Welt, sondern um Behütung vor den Mühseligkeiten, die der Verführer bald durch Wohltun bald durch Wehtat ins Menschenleben senkt. In der Welt sollen sie der Welt absagen, sollen für sie, nicht von ihr sein. Sie sollen nicht eher scheiden als bis sie ihr Werk ausgerichtet haben, und ehe ihr Meister sein Werk an ihnen vollendet hat. Denn „Reif sein ist alles.“

 Diese Bitte Jesu, der die Last kennt, und die Schultern, denen sie aufgelegt wird, die Welt durchschaut und die Schwachheit der Jünger nicht vergißt, soll uns trösten. Wenn er uns die Widerstandskraft zutraut, wird er sie auch stärken und wenn er den Feind kennt, wird er ihn auch abwehren. Die drei letzten Bitten seines Wandergebets sollen die Jünger trösten, denen begangene Schuld und Unterlassungssünde der Vergangenheit vergeben, die Lockung und Reizung gegenwärtiger Versuchung erspart und Freiheit von aller bösen Gewalt und aller Gewalt des Bösen gegönnt werden wird.

 Weltferne und doch weltmächtig zieht der Jünger Jesu im Besitze der überwindenden Mächte und sieghaften Gnaden durch dieses Leben. Es ist ihm zu gering, um gewünscht, zu gefährlich, um unterschätzt zu werden, aber auch zu arm, um vergessen zu sein.