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Lebens sich heimisch fühlen wollte, dann könnte nichts mehr sie betrüben. Ja, wenn sie nur darüber trauern wollte, daß sie so wenig noch von der Gabe Gottes in Christo lebt, dann würde diese Freude niemand von ihr nehmen.


Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum erkennen.

 Leben stammt aus der Liebe und zeugt von der Liebe und weckt sie. Ewiges Leben ist die Gabe der unablässig sich gleich bleibenden und keine, auch nicht die leiseste Veränderung und Trübung in sich aufkommen lassenden Liebe. Dieses unaufhörliche Leben der seligen Bewegung aus heiliger Stille und in ihr und wiederum zu ihr zeugt von der heiligen Liebe, und wo es wohnt und waltet, da weckt es Leben, das seine Kraft in sich bewahrt und je stärker wird, je mehr man sie beansprucht und verlangt.

 Ewiges Leben ist nicht nur ein zukünftiges Gut, ja nicht einmal in erster Linie der kommenden Zeit angehörig. Wer es jetzt, im Lande der Widersprüche und des Streites, auf der kalten und winterlichen Erde noch nicht hat, wird es späterhin nicht erlangen. Sein Jetzt unterscheidet sich von seinem Einst nur dadurch, daß dieses ohne Trübung und Störung voll in die Erscheinung des klaren Lichtes tritt, während jenes noch unter Schatten und Hüllen lebt und wirkt. Wer in der Welt des Kampfes nicht Lebensgaben hat und braucht, wird zu der Welt des Sieges nie gelangen.

 Das ewige Leben, Inbegriff alles Lebensgutes, hier Wahrheit, dort Wirklichkeit, hier Seligkeit auf Hoffnung, dort Seligkeit des Besitzes, steht darin, daß man Gott nicht verstandesmäßig erkennt – wer vermag dies, da sein Friede und sein ganzes Wesen alle Erkenntnis übersteigt und alle Begriffe hinter sich läßt? – sondern mit innigstem Vertrauen als den erfaßt, was er jedem sein will, höchstes Gut, reinstes Licht, reichste Gabe, als das einzige Ich, für das und auf das hin zu leben der Mühe wert ist. Erkennen ist liebend erfassen, wie sich der Müde ganz von der Frische des Waldes und seiner Stille, der Wanderer ganz von dem Frieden der Heimat umfangen läßt. Er kann nicht im einzelnen erklären noch stückweise feststellen, was ihn so froh macht. Die Waldes-, die Heimatsluft, die ihn umgibt, die er einatmet, ist Freude genug. Nur das verlangt Gott von dem, der sein genießt, daß er ganz sich von ihm erfüllen, antun, erfassen und umgeben läßt. Solche Erkenntnis, der Dank, der die Gnade einatmet, ist das Leben, das immer völliger wird, je näher die Seele der Quelle und dem kommt, der sie ihr erschloß.

 Der uns mit seinem Geiste erfaßt, mit seinem Troste erfüllt, in seinem Frieden bewahrt und erfreut, ist allein wahrhaftig des Namens wert, wie ihn Luther im großen Katechismus erklärt, daß von ihm alle gute Gabe herkomme, und er der Brunnquell aller