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daß sie nicht in die Oper gehen konnten, sondern in sich gekehrt nach Hause gingen. Es ist die milde, verklärte Geistlichkeit, die sich den Körper baut, die heilige Leiblichkeit als Abglanz des in Gebet und Zucht bewährten Innenlebens. Leiblichkeit ist das Ziel aller Wege Gottes – hat Bengels Schüler gesagt. Und der mittelalterliche Denker, der Mystiker weisen gleicherweise darauf hin, daß es Gerechtigkeit auf Erden sei, wenn die Gesichter wie die Menschen werden. Blöden Auges – seine Umgebung wußte es nicht – ne uxor quidem[1] – sah er mit dem nach innen gewandten desto besser, bemaß und betrachtete die Dinge in heiliger Gelassenheit und lebte mitten in der Welt für sie, nicht von, noch mit ihr. Auf dem Antlitze aber ruht der Friede des guten Gewissens, der dem Nächsten das Herz heimatlich stimmt und es der Seele wohl sein läßt, die sich in einem über Denken und Wünschen hoch erhabenen Frieden geborgen weiß. „Jaschar,“ das Psalmwort (Ps. 37), erwählte Bengel zu seinem Wahrspruche: „Gerade, schlecht und recht“ – ganz wie es einst Löhe getan hat. Weil er gerade vor sich hin wandelte, kam und brachte er zum Frieden. „Im Sturm des Meeres spiegelt nicht die Sonn’ ihr heilig Angesicht,“ aber die Stille in Gott ist Ihm ein willkommenes Bild seiner selbst und wird durch Gott dem Antlitze aufgeprägt. So oft wir das Bild ansehen, ist es wie Feierabendgeläute und Sabbatfrieden.

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 II. Und das Bild predigt von einem stillen, geradlinigen Leben „ohne Sprung“. Die beiden mit Bengel oft verglichenen und ihm in manchem Stück verwandten Ötinger und Hamann, dieser der Magus des Nordens, jener des Südens, sind durch allerlei wunderliche Abbiegungen und Seitenwege, durch Absonderlichkeiten und Abenteuerei gegangen. Wie die großartig zerrissene und zerklüftete Berglandschaft mit hohen Felsen und mächtigen Wasserstürzen das Herz erbeben und erschauern läßt, während die stille Flur am Waldeshang mit ihren tausend Blumen und Blüten die Seele erquickt und zur Ruhe bringt, so reden jene beiden Männer mächtig an und auf, treiben und drängen, nötigen und zwingen. Aber Bengels einfaches Pfarrerleben, im engen Rahmen einer wohlbehüteten Amtsarbeit ablaufend,


  1. nicht einmal die eigene Frau.
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Hermann von Bezzel: Albrecht Bengel. Verlag der Evang. Gesellschaft, Stuttgart 1916, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Albrecht_Bengel.pdf/6&oldid=- (Version vom 9.9.2016)