nimmer über – mag ehrwürdiges Literaturdenkmal sein, kann aber nicht dem Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts genügen, für den der Krieg neue Werte und neue Worte schuf, Predigten von deutschen Gedanken und von gepanzerter Ehre und vom Recht des freien Mannes und von der Seligkeit des Heldentodes – tönendes Erz und öfter noch klingende Schelle. Der Heiligen Schrift aber, auch in ihren abgelegenen Teilen, hat ihr Herr die gelehrte Zunge gegeben, mit den Müden zur rechten Zeit zu reden, nicht mit Worten menschlicher Weisheit, die dem Schiffbrüchigen sich versagt, weil sie nicht Arme hat emporzuheben, sondern mit dem Trost der Vergebung und mit der Treue der Heimat. Letztlich wird es eben darum darauf ankommen, daß wir erstlich die unvergleichlichen Nachrichten von dem Heilsplan Gottes, der über die ganze Zeit und alle Menschen aus purlautrem Erbarmen sich erstreckt, dankbar auf- und annehmen. Die Widersprüche einen sich dem näherblickenden Ernste, und die Gegensätze wandeln sich in gesegnete Harmonie. Welches Urteil würde wohl über die Schrift gefällt, wenn sie in Nebensächlichem ganz die gleiche Meinung und Sprache hätte! Die lichte Sonne der himmlischen Wahrheit, die auf ewige Hauptsachen führt und drängt, will nicht durch menschliche Fackeln erst erleuchtet werden, sondern leuchtet durch sich selbst. Es ist kleinlich, an der hellen Sonne Flecken entdecken zu wollen, statt sich zu freuen, daß sie „freundlich pflegt die Höhen anzusehen und auch in die Täler lacht“, daß wir in ihr und ihrem Gnadenstrahl leben und weben und sind. Die Vernunft ist nicht das Prinzip der Dinge, als ob sie meistern, ersinnen und ersetzen dürfe, was Gottes Gnade über Menschenvernunft gibt und erhält, sondern das schwache Werkzeug, mit dem man heilsame Gnaden faßt und anbetend erkennt. Wenn man nicht mit reinen Händen und ernster Ehrfurcht an Gottes Wort herangeht, so entleert man das eigene Leben: es verträgt alle Kritik, nur nicht die, welche kritisieren will.
Bengel hat in seinem herrlichen Buche reiche Schätze zutage gefördert, den Ertrag vieljähriger Arbeit der Gemeinde geschenkt, aus den unscheinbarsten Worten hellen Schein ins Herz und Haus der Kirche fallen lassen: wie hat er sich wohl einen Monat hindurch um eine Stelle – 1. Joh. 5 – so gemüht! Ich erinnere etwa an die Auslegung des „Ja“ in
Hermann von Bezzel: Albrecht Bengel. Verlag der Evang. Gesellschaft, Stuttgart 1916, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Albrecht_Bengel.pdf/14&oldid=- (Version vom 9.9.2016)