erkaltenden Hand auf die Brust gedeutet: Herr Jesu, dein bin ich, tot und lebendig. Das Gebet hat die Seele des Knechtes in die Hände und das Haus des Herrn getragen.
IV. Das Gebet ist die Tat des rückhaltlosen und uneingeschränkten Vertrauens, eines mannhaften Willens zur Wahrheit des Gotteswortes. „Zuvor aber weiß ich, daß du deine Zeugnisse ewiglich gegründet hast.“ (Psalm 119, 152.) „Gottes Gesetz ist eine durchaus sich erwahrende Wahrheit.“ Daß diese frohe Gewißheit einer aller Menschenkritik entragenden, weil über sie himmelhoch erhabenen Wahrheit des Schriftganzen, der gesamten Heilsökonomie unsres Gottes, die von dem Kleinsten bis zum Größten reicht, diese Freude an dem Gottesgarten, drin Gewächse schönster Arten stehn in Blust und Lieblichkeit, ins Herz der Kirchenleute gesenkt ist, verdanken sie neben Luthers grandioser Schriftanschauung der heiligen und ernstlichen Arbeit Bengels, des Schrifttheologen, der als demütiger Bekenner weder die Schrift meistern noch sie buchstäbeln wollte, sondern anbetend ihren Spuren folgte, ein Brunnenmacher, nach eigenem Geständnis, der die ewigen Quellen in arme Röhren leitet, sich bescheidend, was er nicht und wo er noch nicht versteht, zufrieden mit dem und reichlich dankbar für das, was ihm kund und wissend war. Ihm ist die Schrift nicht nur Norm und Gesetz, sondern Lebensquelle, und „der Brief aus Freundeshand, der ihm teuer ist ohne Urteil über die Hand, die den geliebten Brief überbringt“. Ein Liebes und Lebensgedanke, wie er dort im 1. Verse des 1. Kapitels des Hebräerbriefs angedeutet ist, geht durch alle Zeiten und Stimmen und Schriften, bis er in dem Sohne Ja und Amen wird. „Nicht jeder muß alles begreifen, aber alle Heiligen aller Zeiten und Orte sind wie ein einiger Lehrjünger gegenüber dem Worte des Vaters.“
Von der Fülle der Lesarten in den griechischen Handschriften und Erstdrucken, in den Zitaten der Kirchenväter, in den Übersetzungen wie geblendet, hat Bengel die Kritik dieser Lesarten nicht zum Selbstzweck gemacht, wie etliche zu tun pflegen, die niederreißen, um den Schutt zu sehen, und zerpflücken, um das Spiel der welken Blätter und Blüten anzuschauen; sondern im Dienste der Wahrheit, die sich scheut, zu Gottes Ehren ein falsches Zeugnis abzulegen, hat er die
Hermann von Bezzel: Albrecht Bengel. Verlag der Evang. Gesellschaft, Stuttgart 1916, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Albrecht_Bengel.pdf/12&oldid=- (Version vom 9.9.2016)