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     Zuweilen läßt eine Zufälligkeit einen Blick tun in die heimliche Wanderstraße der Wassertropfen. Ein Hirsch flüchtete über das Bruch. In einer vertrockneten Torfrunse, die im Frühjahr die Schmelzwässer ins Tal leitet, traten seine Hinterläufe ein tiefes braunes Loch. Und sieh: feuchte Glitzer blänkerten rings aus der Lochwand, und jedes war wie eine erstaunte Frage: Ob ich hier richtig bin? – Aber keins verweilte am Ausguck. Zickzackig wackelten sie an der braunen Wand hernieder. Ehe freilich die ersten an den Boden gelangten, waren sie aufgesogen. Ungezählte andere aber aus ungezählten Stollen folgten, und bald teufte sich der Hirschtritt wie ein feuchter Schacht in die Runje hinab.

     Unter dem oberen Rand des Loches ragt aus Moorfasern und Torferde eine knorkelige Heidelbeerwurzel in die Höhlung. Sie hat sich just einem Wasserräderchen in den Weg gelegt. Die reisenden Tropfen finden, daß es lustig sein müsse, nach der Wanderung im Dunkeln eine Luftreise zu machen und seiltanzen wippend an der Heidelbeerwurzel hin. So fröhlich ist das, daß jedes mit einem klingenden Jauchzer sich von der Wurzelspitze in den Lochtopf hinabplumpsen läßt, auf dessem Grund sich ein winziger Quellteich gebildet hat. Eine Hand hoch ist der Hirschtritt gefüllt. Höher kann der Spiegel des Teiches nicht steigen, denn bergabwärts ist schon wieder das Röhrenwerk gelegt, in dem die stille Unrast weitersickert. So bleibt eine Höhlung über dem Wasser. Sie wird zum Resonanzboden und rundet jeden kleinen Tropfenplatsch zu einem silbernen Glockenton ab: tonk – tink – tunk – puck – pück — purr. Ein Bachkind läutet sich in die Welt. –

     Über dem Urberg träumt die Nacht. Alles Laute schläft. Zur Ruhe sind Wind, Bekassine und Nachfalterblaffen. Nur die Silberglocke tunkt. Es ist, als ob aus Bruch und Fichtenheimlichkeit alle Stille der Nacht sich sammelt, in unsichtbarem Strom zusammenströmt und klingend in raumlose Dunkelheit tropft. Durch den Giebelschlitz meines Zeltes singt der Quell im Bruch das Nachtlied der Wildnis über mein Heckenlager hin:

Tunk – tonk – tink,
     Trinke, Seele, trink
Tonk – tink – tunk
     Stiller Stunde Silbertrunk.
Punk – pück — purr,
     In der Stille nur
P–luck, p–lück
     Wohnt das Glück.


Der Bergmannssohn
Von Albert Humm


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1950. Piepersche Druckerei, Clausthal 1949, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1950_046.png&oldid=- (Version vom 17.2.2019)