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Fleischmarken und braucht seine paar Pensiönerpfennige nicht zusammenzukratzen für ein bißchen Drosselfutter. Ob ich wohl –, jawoll, das wäre ein Gedanke: ich will ihm meine Amsel auch in Kost geben. Ich will sie in den Stadtwald bringen.

     Fast wie eine Freude hüpfte dieser Einfall durch des Alten gequälten Ktopf. Das war der einzige Ausweg, der dem Herzen ein Tor offen ließ für Rechtfertigung und Versöhnung. Und sogleich sollte der Gedanke zur Tat werden.

     Als eine Stunde darauf der Alte mit dem Amselkäfig unterm Arm wieder in den Stadtwald zurückging, da begab es sich, daß die Freude, die vorhin so leichtfüßig angehüpft kam, mit einem Male recht lahme Beine bekam auf diesem Opfergang. Fritz Nickels Herz hing schwer. War diese letzte Guttat an seiner Amsel nicht ein bedenkliches Geschenk? Bei Gott, ein verzweifeltes. Gefangene Tiere sind der Natur entwöhnt. Gab es aber einen anderen Aussweg? Ihr den Kopf abreißen etwa?

     Sie langsam verrecken lassen vor Hunger? Sie einem Katzenvieh vorwerfen? Nein, verflucht, – vierzehn Jahre war sie mein Kamerad! Vierzehn Jahre! Nur diese allerletzte Rettungsmöglichkeit weiß ich: Euer himmlischer Vater nähret sie doch ...

     Der Stadtwald war von Spaziergängern belebt. Ganz abseits erst fand Nickel einen einsamen Horst. Birkenbüsche und junge Kusseln standen da. Dies war der richtige Ort. Der Alte stahl sich hinein und wickelte die Zeitungshülle von dem Vogelbauer ab. Schnell sollte alles gehen, so hatte er sichs vorgenommen. Doch er hob den Käfig noch einmal vor das Gesicht. Mit einem Blick nahm er Abichied, und ganz leise nur sagte er: Mein liebes Amsele. Weiter sagte der Alte kein Wort. Aber die Erinnerung an vierzehn Jahre schönen Miteinanderlebens bubberte weh durch seine Stimme, und in seinem Halse würgte es. Noch wehrte er sich dagegen. Nur nicht weich werden jetzt. Dies hier mußte sein, mußte. – Er zog das Flugloch auf. Mit unbehilflich gewordenen Flügelschlägen flatterte der Vogel zu Boden. Du lieber Gott, wie erbärmlich sah das aus. Dann hüpfte er auf einen niedrig stehenden Ast und äugte mit einem Blick voll ungläubiger und verwunderter Fragen zu dem Alten hinauf. Der aber wandte sich ab vor diesem Blick, und über seine greisen[WS 1] Stoppeln kollerten die Tränen.

     So stand er eine Weile. Wie an einem Grab war das, in dem man etwas Liebes begraben hat. Dann ging er, zögernd, unschlüssig. Nach fünfzehn Schritten drehte er sich noch einmal um. Eine Amsel hatte gewarnt. War es seine gewesen? Nein, seine saß noch da. – Ach hätte sich Fritz Nickel nicht umgesehen! Ein Sperber preschte in das Gebüsch. Der Alte wollte zuspringen. Der Schreck hielt ihn fest. Als sich dann der Bann von seinen Füßen löste, war alles schon geschehen. Er sah von seiner Amsel nur noch ein paar stiebende schwarze Federchen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Original: griesen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender 1940. Piepersche Buchdruckerei, Clausthal 1939, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1940_060.png&oldid=- (Version vom 15.1.2019)