Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1929 | |
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und daß die Freunde von Laupen und Murten
andere geworden, noch nicht erfahren. Als der Feind
den Toren nahte, opferten die Berner den Freunden
die alte Verfassung, lösten die eherne Kette, die alles
zusammenhielt, auf der das Vertrauert ruhte. Als
der Sturm wütete, schraubte man das Steuerruder
ab, fuchte ein neues, sägte Masten ab, setzte provisorisch
neue ein, bis man aus Frankreich neue bekäme.
Da gab es großen Riß und Jammer, es
ging ein Schrei durchs Volk wie in einem Schiffe,
wenn es einen Leck bekommt und schäumendes Meereswasser
stromweise eindringt. Das Vertrauen zu der
Schiffsmannschaft, den Offizieren des Schiffes ging
verloren, und das Geheul begann, man sei verraten
und verkauft. Es war so lange geschrien worden,
die alte Regierung habe das Vertrauen des Volkes
verloren, daß sie es am Ende selbst glaubte und
ihre Machtvollkommenheit in der gefährlichsten Zeit
dein Volke zustellte. Da erst verlor das Volk das
Zutrauen zu der Regierung; sein Instinkt sagte ihm,
was kommen müsse, wenn in der Nähe der tobenden
Brandung die erfahrenen Hände vom Steuer lassen;
es schäumte vor Weh’ und Wut. Der alte Bernermut,
der durch so manche Mauer gebrochen, zu
Schlacht und Hochzeit mit gleicher Freudigkeit gegangen,
loderte hoch auf, drängte dem Feinde entgegen.
Es waren noch die Söhne der Berner, welche,
nachdem sie zwei große Schlachten geschlagen, in
einem Tage in die dritte sich stürzten und in der
Birs ober auf dem Kirchhof zu St. Jakob den Tod
fanden. Wenn damals dreißigtausend Berner, in
Kriegsglut entbrannt, losgelassen worden wären auf
die zerstreut liegenden Feinde, denen eine bedeutende
Zahl erst nachrückte, Bern hätte gesiegt oder wäre
erst nach großartigem Heldenkampfe gefallen. Aber
Gott wollte es nicht. Als das Vertrauen gebrochen
war, der Kriegsmut in Mißmut, in heillosen Wirrwarr
sich verwandelt hatte, kurz, als alles war, wie
die Franzosen wollten, da schlugen sie los, treulos,
ehe der Waffenstillstand abgelaufen war. Als die
Franzosen losschlugen, zogen die beiden Eidgenossen
heim und ließen Bern im Stich. Doch so gleichsam
zum Trost schrieben sie noch: Ihr Sinn und
Gedanke sei stets gewesen, mit fester Schweizertreue,
mit freudiger Aufopferung alles Blutes bis auf den
letzten Mann ihren lieben Eidgenossen von Bern
zur Hand und Hülfe zu stehen, wie sie denn davon
bis auf diese Stunde sattsamen Beweis von sich gegeben
hätten. Diese Glarner und andere hörten noch
den Kampf von Fraubrunnen her, sie machten, daß
sie fortkamen. Nun mit aller Übermacht die Feinde
auf das überraschte, verlassene Bern, ein schmählich
Opfer, mit dem die Eidgenossen die eigene Sicherheit
zu erkaufen meinten. Und wie ging es ihnen? Man
kann sich die unaussprechliche Verwirrung, welche in
Bern herrschen mußte, als es hieß: „Feinde ringsum“,
kaum denken; in Bern war nie ein Feind gewesen;
fast hundert Jahre lang hatte man in Frieden gelebt,
und als man die letzten Male kriegte, war es weit
unten im Aargau und in den freien Ämtern; von
Kanonendonner hörte man nichts und dazu tönte der
Name Franzose so fürchterlich; alle Greul dachte man
in ihm zusammengefaßt. Die besten Männer standen
vor dem Feinde, die erfahrenen Leiter der Republik
hatten die verwirrte Stadt verlassen, suchten draußen
Kampf und Tod. Das alte Haupt der Republik,
Steiger, der greise Held, stand unten im Grauholz:
als sei er der sichtbar gewordene Heldengeist des
alten Berns, gebot er Achtung fernerhin dem heranstürmenden
Feinde. Ungewohnte Hände hatten die
Zügel des Regiments ergriffen, und Botschaften, unglückliche,
unsichere, kamen zu allen Toren ein, von
unten her; jede erzeugte Maßregein und Befehle, die,
kaum gegeben, wegen neuen Berichten widerrufen
wurden. Da gegen Morgen am 5. März erschienen
die sichersten Botschafter, die bei Laupen und Neueneck
geschlagenen Truppen. Da ertönten die Glocken
der Stadt, läuteten Sturm, riefen zum Streit, und
nicht umsonst. Im Sturmschritt eiten Truppen durch
die Stadt, die kühnen Studenten schlossen sich an,
Weiber, Greife ergriffen Waffen, eilten nach. Wenige,
welche die Waffen tragen konnten, aber derselben
kaum kundig waren, blieben zurück, besetzten die
Wachen und hüteten mit klopfendem Herzen die
Stadt. Draußen ging’s vorwärts, den rasenden Feinden
entgegen. Einer riß den anderen hin, der rechte
WS: Werbung nicht transkribiert.
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1929. Piepersche Buchdruckerei, Clausthal 1928, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1929_062.png&oldid=- (Version vom 5.10.2019)