Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1929 | |
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gegessen. Die Eidexen und Spinnen gefressen,
Steine, Sand, Kohlen, Stroh, Heu, und allerhand
faule Materien verschlucken können. Die Kröten
ohne Gefahr ihrer Gesundheit verzehrt haben. Glasfresser
haben sich gar öfters gefunden. Von Leuten,
welche eine große Menge rohes Fleisch lebendige
Thiere mit Haut und Haare oder den Federn,
desgleichen Leber, eiserne Nägel, Erde, Kreide, Kalk,
Tobacksasche, Pfeifen und dergleichen mehr zu sich
genommen haben, findet man viele Wahrnehmungen.
Eine vornehme Fürstin in den Niederlanden
hatte ein sehr köstliches Kleinod verloren,
welches auf eine große Summa Geld geschätzt
worden, und weil sie – nach allem
angewendeten Fleiß – folches nicht mehr
konnte erfragen, hat sie bei sich gänzlich (fest) beschlossen,
die Zauberer und Schwarzkünstler um Rat
zu fragen, zu solchem Ende ein großes Geld öffentlich
demjenigen verheißen, der ihr das entfremdete
Kleinod wieder zuwegen bringen würde. Nachdem
solches ein frischer, junger Mensch erfahren, gedachte
er einmal ein Stückel zu wagen und einen Studentenpossen
zu probieren. Er begibt sich daher ganz mutig
und unerschrocken zu der Fürstin (sein Name war
Monsieur le Ratz, das ist Herr Ratz mit dem Zunamen)
und verspricht der Fürstin, ihrem gnädigen
Willen nachzukommen und das verlorene Kleinod
einzuhändigen, jedoch mit dem Geding, daß sie ihn
drei Tag nacheinander in ihrem Palast öffentlich, daß
jedermann kann zuschauen, lasse traktieren, welches
alles die Fürstin erbietig zugesagt und gehalten.
Unser Herr Ratz setzt sich zur Tafel, alle fürstlichen
Bedienten warten auf, eine große Menge Volks
schaut zu, worunter auch einer aus denjenigen, die
das Kleinod entfremdet, ungekannt gestanden. Dem
Herr Ratzen schmeckt das fürstliche Traktament nicht
übel. Nachdem nun der Ratz den Ranzen ziemlich
angeschoppt, steht er von der Tafel auf, schaut alle
Umstehenden ernstlich an und bricht endlich in die
Worte aus: „Den ersten hab ich!“ (Er verstund aber
den ersten Freßtag.) Einer von den Dieben, so unter
dem Volk gegenwärtig, glaubte gänzlich, (was das
böse Gewissen nicht tut), er habe ihn durch das Anschauen
vermerkt und mit dieser Rede getroffen,
eilt demnach in aller Stille zu seinen Diebskameraden.
„Brüder,“ sagt er, „der Diebshenker hol mich,
der Kerl ist ein Zauberer, er hat mich ersehen.“ –
Des andern Tags wird nochmal eine stattliche Mahlzeit
zugericht, wobei Herr RatZ sich sehr wohlbefunden,
und war der Zulauf des Volks noch viel größer
als des vorigen Tags. Es wollte aber die Fürstin
recht erfahren, ob dieser ein solcher Künstler sei, der
die verborgenen Sachen wisse. Zu solchem Ende ließ
sie zu dem Konfekt (als Nachtisch) eine verdeckte
Schüssel auftragen, worunter ein lebendiger Ratz
(Ratte) verborgen, welches sonst niemand gewußt
als sie und ein Bedienter. Dem Herm Gast wird
auferlegt, er solle erraten, was in der verdeckten
Schüssel verborgen. Oime! schreit er auf, kratzt hinter
den Ohren und sagt: Ratz, Ratz, du bist gefangen!
Er vermeinte solches von seiner eigenen Person,
weil er diesen Zunamen hatte, daß er dermal
seinem Possenhandel ertappt; das Volk aber und
die fürstlichen Bedienten glaubten, als man die
Schüssel aufgebeckt, er habe solches von diesem gefangenen
Ratzen geredet, und folgsam (folglich) ihn
für einen Zauberer gehalten, welches dem Herrn
Monsieur le Ratz sehr wohlgefallen, dahero er nach
vollbrachter Mahlzeit mehrmalen aufgestanden und
noch kecker als zuvor alle Umstehenden angeschaut,
endlich ausgeschrien: „Ich habe schon den andern!“
(Er verstund den andern Freßtag.) Der andere aus
den interessierten Dieben war auch dazumalen gegenwärtig,
avisiert deswegen in der Still die andern
Mitdieb, es sei doch wahr, was sein Kamerrad gestern
gemeldet, der Kierl sei ein Zauberer, und er habe
ihn mit allem Fleiß erschrecklich angeschaut, auch
noch darüber gewußt, was in der verdeckten Schüssel
verborgen gewesen. (Was nicht das böse Gewissen
tut!) – Den dritten Tag ließ die Fürstin sehr herrlich
auftragen, und war eine überaus große Menge
Volk vorhanden, weil allenthalben schon ausgeschrien
worden, der Herr Ratz sei ein Wahrsager. Nachdem
sich dieser listige Vogel nach allem Wunsch bei dieser
Tafel begrast (gemästet), hat er sich wieder erhoben
und alle um und um ganz genau angeschaut,
endlich aufgeschrien: „Gut, gut, jetzt hab ich den
dritten!“ (Er verstund den dritten Freßtag). Nach
diesem begab er sich aus dem Saal in ein anderes
Zimmer und machte sich Mucken, wie er sich möchte
manierlich aus dem Staub machen. Ihm aber ist in
der Still einer auf dem Fuß nachgefolgt und vor
ihm auf die Knie niedergefallen, bittend: „Herr,“
sagt er, „ich habe es gestern und vorgestern meinen
zwei Kameraden nicht recht glauben wollen, aber
heute habe ich es leider selbst erfahren, daß Ihr ein
Zauberer seid und habt mich gleich erkennt, wie
Ihr Euch umgeschaut. Ich bitte demnach um Gottes
willen, er verschone unsere Ehr und guten Namen,
wir stellen uns mit hundert Talern ein.“ – „Ja,“
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1929. Piepersche Buchdruckerei, Clausthal 1928, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1929_059.png&oldid=- (Version vom 24.10.2019)