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seine starken und derben Muskeln zusammentrockneten, seine Zähne nach und nach ausfielen, und die Verdauungswerkzeuge ihm ihren vorigen Dienst versagten.

      So unglaublich auch diese wenigen angeführten Beyspiele seines Vielfraßes scheinen mögten; 10 wahr sind sie doch. Gerichtliche Zeugnisse verdienen desafalls allen Glauben. In den Acten des Magistrats zu Wittenberg vom Jahre 1723 finden sich Zeugenverhöre von 7 glaubwürdigen Leuten, welche Augenzeugen seines Vielfraßes gewesen sind, und man kann daher für Wahrheit der angeführten Exempel Gewähr leisten. Ein Student hat, da der Mensch wenige Jahre vorher, ehe er in Wittenberg studierte, gestorben ist, noch viele Leute gesprochen, die ihn gekannt, und ihm nicht allein mehrere Beyspiele seines Vielfraßes, sondern auch seiner außerordentlichen Leibesstärke erzählt haben. Von letzterer wollen wir unsern Lesern noch einige Beweise geben.

      In einer Schmiede zu Wittenberg hat er einen großen Ambos vermittelst eines vierdoppelten Stricks aus dem Hause in die Stube getragen, welchen hernach zwey starke Schmiedegesellen nicht wieder von der Stelle zurückbringen können. Aus einem Wagenrade hat er alle Nägel mit den Zähnen herausgezogen. Von dem nahe bey Wittenberg liegenden Dorfe Pratau hat er einsmals 4 starke Leute, nemlich auf jedem Arm einen, auf dem Rücken einen, und einen zwischen den Zähnen haltend, nach Wittenberg getragen. Zu einer anderen Zeit soll er sein Pferd, das ihm ohnweit Zerbst umgefallen war, auf die Karre geworfen, sich selbst hineingespannt, und es so nach Wittenberg gebracht haben. Auch hat er den Zerbst einen Schlösser mit seinem Felleisen und Gerätschaften gegen eine Belohnung auf seine Schultern genommen, und nach Wittenberg zu tragen versprochen. Wie aber der gedungene Kahle zu stark rannte, und jener das heftige Schlagen seines Felleisens in die Länge nicht mehr aushalten konnte, so war er genöthigt, nach zurückgelegten 2 Meilen von seinem Pferde abzusigen, und das versprochene Lohn gern zu bezahlen.

      Es frägt sich nun, woher dieser Mensch eine so außerordentliche Leibesstärke erhalten, und eine so ungeheure Menge harter Körper verschlucken und auch verbauen können? Ist er durch die Natur allein in ben Stand gelegt worden, oder hat er sich nach und nach dazu gewöhnt. Das Sprüchwort sagt zwar, wers weiß, wirds wissen, und daß kein Fresser gebohren, sondern erst erzogen wird. Allein dieser Mann kann es unmöglich durch die bloße Gewohnheit dahin gebracht haben. Sein sehr festes Gebiss, sein scharfer Magensaft, seine starken Verdauungswerkzeuge, überhaupt der ganze Bau seiner Maschine muß ihm heirbey zu Hülfe gekommen seyn. Es ist schon vorhin gezeiget, daß er in seiner Jugend ein starkes Nervengebäude, ungemein starke und derbe Muskeln, mit einem Worte, einen dauerhaften Körper gehabt. Seine arbeitssame Lebensart in Wind und Wetter, in Hitze und Kälte, hat überdies nicht wenig dazu beygetragen, seinen Körper abzuhärten. Die anatomische Zergliederung seines Körpers hat auch gezeigt, daß sein Magen aus weit dickern Häuten, als sie natürlich seyn müßten, bestanden habe. Jedoch die ganze Zergliederung aller einzelnen Theile seines Körpers umständlich zu beschreiben, ist hier der Ort nicht. Wir wollen nur noch hinzufügen, daß aus dem Bau seiner Verdauungswerkzeuge allein nicht erkläret worden, wie der Mensch eine so ungewöhnliche Menge harter Körper verdauen, und in die Natur seines Körpers verwandeln können, sondern daß man auch annehmen müsse, die Gewohnheit habe nach und nach demselben alles unschädlich gemacht. Finden wir doch in den Schriften der Ärzte häufige Beyspiele, daß es Menschen gegeben, welche sich allmählich angewöhnt haben, verschiedene Gifte, Schierling, Opium und dergleichen in Menge ohne Schaden zu genießen. Die tägliche Erfahrung lehret z. B. daß bloße Gewohnheit an sich schädliche Dinge unschädlich machen könne. Welche Üblichkeit, Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerzen und Dummheit emfindet nicht der, welcher die erste Pfeife Toback in seinem Leben raucht. Bloß die Gewohnheit macht uns in der Folge dagegen so unempfindlich, daß wir denselben täglich in Menge gebrauchen können. Eine Prise Schnupftoback reizet den Menschen, der nicht daran gewöhnt ist, zum niesen. Man sehe aber Leute an, die ihn beständig gebrauchen; sie werden ganze Dosen voll ausschnupfen, um das einmal angewöhnte kützelnde Vergnügen ihrer Nase zu empfinden, aber man wird sie nur sehr selten niesen hören, zuletzt wird sich der Kützel auch verliehren, und sie werden bloß aus Gewohnheit schnupfen. Was macht es? die kützelnden Theile reizen die Nerven nicht mehr, und ihr öfterer Eindruck macht sie zuletzt unempfindlich. Man wende diese einleuchtenden Exempel auf unsern beschriebenen Vielfresser an; so wird man einigermaßen begreifen, wie der Mensch, mit Beyhülfe seines starken Gebisses und seiner guten Verdauungswerkzeuge sich nach und nach zu solcher außerordentlichen Lebensart gewöhnen können.

     Zum Beschluß dieser Nachricht wollen wir unsere Leser noch mit der Geschichte einiger Vielfresser, und solche, die ganz ungewöhnliche und ungereimte Dinge haben genießen können, auf einige Augenblicke unterhalten. In den Schriften der Ärzte findet man hin und wieder Beyspiele dieser Art, Menschen, welche in einer Mahlzeit 8 Pfund Fleisch ohne Zugemüse und Brod verzehren konnten. Die Talglichte und lebendige Krebse mit ihren äußeren Schaalen