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gewaltig, daß er das Wort fast rauh hervorstieß – was ist das? Wie bist du hierhergekommen?“

     Sie schauerte in sich zusammen.

     „Ich weiß nicht, Rudolf – – ich wollte fort – mir träumte; o, Rudolf, es muß etwas Furchtbares gewesen sein!“

     „Dir träumte? Wirklich, dir träumte!“ wiederholte er und atmete auf, wie von einer schweren Last befreit.

     Sie nickte nur und ließ sich wie ein Kind ins Haus und in das Schlafgemach zurückführen.

     Als er sie hier sanft aus seinen Armen ließ, sagte sie: „Du bist so stumm, du zürnst gewiß?“

     „Wie sollt’ ich zūrnen, Ines! Ich hatte Angst um dich. Sast du schon früher so geträumt?“

     Sie schüttelte erst den Kopf, bald aber besann sie sich. „Doch; – einmal; nur war nichts Schreckliches dabei.“

     Er trat ans Fenster und zog die Vorhänge zurück, so daß das Mondlicht voll ins Zimmer strömte.

     „Ich muß dein Antlitz sehen,“ sagte er, indem er sie auf die Kante ihres Bettes niederzog und sich dann selbst an ihre Seite setzte. „Willst du mir nun erzählen, was dir damals Liebliches geträumt hat? Du brauchst nicht laut zu sprechen; in diesem zarten Lichte trifft auch der leiseste Ton das Ohr.“

     Sie hatte den Kopf an seine Brust gelegt und sah zu ihm empor.

     „Wenn du es wissen willst,“ sagte sie nachsinnend, „es war, glaub’ ich, an meinem dreizehnten Geburtstag; ich hatte mich ganz in das Kind, in den kleinen Christus verliebt, ich mochte meine Puppen nicht mehr ansehen.“

     „In den kleinen Christus, Ines?“

     „Ja, Rudolf;“ und sie legte sich wie zur Ruhe noch fester in seinen Arm; „meine Mutter hatte mir ein Bild geschenkt, eine Madonna mit dem Kinde; es hing hübsch eingerahmt über meinem Arbeitstisch in der Wohnstube.“

     „Ich kenne es,“ sagte er, „es hängt ja noch dort; deine Mutter wollte es behalten zur Erinnerung an die kleine Ines.“

     „O meine liebe Mutter!“

     Er zog sie fester an sich; dann sagte er: „Darf ich weiter hören, Ines?“

     „Doch! Aber ich schäme mich, Rudolf.“ Und dann leise und zögernd fortfahrend: „Ich hatte an jenem Tage nur Augen für das Christkind; auch nachmittags, als meine Gespielinnen da waren; ich schlich mich heimlich hin und küßte das Glas vor seinem kleinen Munde – es war mir ganz, als wenn’s lebendig wäre – hätte ich es nur auch wie die Mutter auf dem Bilde in meine Arme nehmen können!“ – Sie schwieg; ihre Stimme war bei den letzten Worten zu einen flüsternden Hauch herabgesunken.

     „Und dann, Ines?“ fragte er. „Aber du erzählst mir so beklommen!“

     „Nein, nein, Rudolf! Aber – – in der Nacht, die darauf folgte, muß ich auch im Traume aufgestanden sein; denn am anderen Morgen fanden sie mich in meinem Bette, das Bild in beiden Armen, mit meinem Kopf auf dem zerdrückten Glase eingeschlafen.“

     Eine Weile war es totenstill im Zimmer.

     „Und jetzt?“ fragte er ahnungsvoll und sah ihr tief und herzlich in die Augen. „Was hat dich heute denn von meiner Seite in die Nacht hinausgetrieben?“

     „Jetzt, Rudolf?“ – Er fühlte, wie ein Zittern über all ihre Glieder lief. Plötzlich schlang sie die Arme um seinen Hals, und mit erstickter Stimme flüsterte sie angstvolle und verworrene Worte, deren Sinn er nicht verstehen konnte.

     „Ines, Ines!“ sagte er und nahm ihr schönes, kummervolles Antlitz in seine beiden Hände.

     „O, Rudolf! Laß mich sterben; aber verstoße nicht unser Kind!“

     Er war vor ihr aufs Knie gesunken und küßte ihr die Hände. Nur die Botschaft hatte er gehört und nicht die dunklen Worte, in denen sie ihm verkündigt wurde; von seiner Seele flogen alle Schatten fort und hoffnungsreich zu ihr emporschauend, sprach er leise:

     „Nun muß sich alles, alles wenden!“

*

     Die Zeit ging weiter, aber die dunklen Gewalten waren noch nicht besiegt. Nur mit Widerstreben fügte Ines die noch aus Nesis Wiegenzeit vorhandenen Dinge der kleinen Ausrüstung ein, und manche Träne fiel in die kleinen Mützen und Jäckchen, an welchen sie jetzt stumm und eifrig nähte.

     Auch Nesi war es nicht entgangen, daß etwas Ungewöhnliches sich vorbereite. Im Oberhause, nach dem großen Garten hinaus, stand plötzlich eine Stube fest verschlossen, in der sonst ihre Spielsachen aufbewahrt gewesen waren; sie hatte durchs Schlüsselloch hineingeguckt; eine Dämmerung, eine feierliche Stille schien darin zu walten. Und als sie ihre Puppenküche, die man auf den Korridor hinausgelegt hatte, mit Hülfe der alten Anne auf den Hausboden trug, suchte sie dort vergebens nach der Wiege mit dem grünen Taffetschirme, welche, solange sie denken konnte, hier unter dem schrägen Dachfenster gestanden