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die noch besorgt werden mußten. Der wüste Garten war für heute vergessen.

*

     Um Abend war das Konzert. – Die großen Toten, Haydn und Mozart, waren an den Hörern vorübergezogen, und eber verklang auch der letzte Akkord von Beethovens C-Moll-Quartett, und statt der feierlichen Stille, in der allein die Töne auf und nieder glänzten, rauschte jetzt das Geplauder der fortdrängenden Zuhörer durch den weiten Raum.

     Rudolf stand neben dem Stuhle seiner jungen Frau. „Es ist aus, Ines,“ sagte er, sich zu ihr niederbeugend; „oder hörst du noch immer etwas?“

     Sie saß noch wie horchend, ihre Augen nach dem Podium gerichtet, auf dem nur noch die leeren Pulte standen. Jetzt reichte sie ihrem Manne die Hand. „Laß uns heimgehen, Rudolf,“ sagte sie aufstehend.

     An der Tür wurde sie von ihrem Hausarzte und dessen Frau aufgehalten, den einzigen Menschen, mit denen Ines bis jetzt in einen näheren Verkehr getreten war.

     „Nun?“ sagte der Doktor und nickte ihnen mit dem Ausdruck innerster Befriedigung zu. „Aber kommen Sie mit uns, es ist ja auf dem Wege; nach so etwas muß man noch ein Stündchen zusammensitzen.“

     Rudolf wollte schon mit heiterer Zustimmung antworten, als er sich leise am Ärmel gezupft fühlte und die Augen seiner Frau mit dem Ausdrucke dringenden Bittens auf sich gerichtet sah. Er verstand sie wohl. „Ich verweise die Entscheidung an die höhere Instanz,“ sagte er scherzend.

     Und Ines wußte unerbittlich den nicht so leicht zu besiegenden Doktor auf einen anderen Abend zu vertrösten.

     Als sie am Hause ihrer Freunde sich von diesen verabschiedet hatten, atmete sie auf wie befreit.

     „Was hast du heute gegen unsere lieben Doktorsleute?“ fragte Rudolf.

     Sie drückte sich fest in den Arm ihres Mannes. „Nichts,“ sagte sie; „aber es war so schön heute abend; ich muß nun ganz allein mit dir sein.“

     Sie schriften rascher ihrem Hause zu.

     „Sich nur,“ sagte er „im Wohnzimmer unten ist schon Licht, unsere alte Anne wird den Teetisch schon gerüstet haben. Du hattest recht, daheim ist es doch noch besser als bei den anderen.“

     Sie nickte nur und drückte ihm still die Hand. Dann traten sie in ihr Haus; lebhaft öffnete sie die Stubentür und schlug die Vorhänge zurück.

     Auf dem Tische, wo einst die Vase mit den Rosen gestanden hatte, brannte jetzt eine große Bronzelampe und beleuchtete einen schwarzhaarigen Kinderkopf, der schlafend auf die mageren Ärmchen hingesunken war; die Ecken eines Bilderbuches ragten nur eben darunter hervor.

     Die junge Frau blieb wie erstarrt in der Tür stehen; das Kind war ganz aus ihrem Gedankenkreise verschwunden gewesen. Ein Zug herber Enttäuschung flog um ihre schönen Lippen. „Du, Nesi!“ stieß sie hervor, als ihr Mann sie vollends in das Zimmer hineingeführt hatte. „Was machst du denn noch hier?“

     Nesi erwachte und sprang auf. „Ich wollte auf euch warten,“ sagte sie, indem sie halb lächelnd mit der Hand über ihre blinzelnden Augen fuhr.

     „Das ist unrecht von Anne; du hättest längst zu Bette sein sollen.“

     Ines wandte sich ab und trat an das Fenster; sie fühlte, wie ihr die Tränen aus den Augen quollen. Ein unentwirrbares Gemisch von bitteren Gefühlen wühlte in ihrer Brust; Heimweh, Mitleid mit sich selber, Reue über ihre Lieblosigkeit gegen das Kind des geliebten Mannes; sie wußte selber nicht, was alles jetzt sie überkam; aber – und mit der Wollust und der Ungerechtigkeit des Schmerzes sprach sie es sich selber vor – das war es: ihrer Ehe fehlte die Jugend, und sie selber war doch noch so jung!

     Als sie sich umwandte, war das Zimmer leer. Wo war die schöne Stunde, auf die sie sich gefreut? – Sie dachte nicht daran, daß sie sie selbst verscheucht hatte.

     Das Kind, welches mit fast erschreckten Augen dem ihm unverständlichen Vorgang zugesehen hatte, war von dem Vater still hinausgeführt worden.

     „Geduld!“ sprach er zu sich selber, als er, den Arm um Nesi geschlungen, mit ihr die Treppe hinaufstieg; und auch er, in einem anderen Sinne, setzte hinzu: „Sie ist ja noch so jung.“