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1928.


     Wieder tritt unser alter Harz-Berg-Kalender seine Wanderung an, um alte heimattreue Freunde zu grüßen und neue zu bewillkommnen. Und wo ihm fröhliches „Glück auf“ entgegenklingt, da hält er gern Einkehr. – Ein Jahr ist eine kurze Spanne, und je mehr sich die einzelnen Jahre entfernen, um so enger rücken sie zusammen und hören zulegt ganz auf, als Abschnitte auf dem Wege, den wir zurücklegen, zu erscheinen. Das Schicksal, das uns beschieden ward, und die Art, wie wir’s innerlich trugen, läßt uns überschauen und gliedern. Und da leuchten oft Strecken in hellem Glanze auf, die uns, da wir auf ihnen wandelten, eitel Finsternis und Düsterkeit dünkten, und andere, auf denen wir im Weiterschreiten unter lauter Sonnenschein und Glück zu wandern vermeinten, verschwinden in einem häßlichen Alltagsgrau: Wir blieben innerlich leer oder kamen von unserm Ziele ab, während wir auf jenen anderen innerlich fester, reifer und stärker wurden. – Nicht darauf kommt es an, was uns im Leben begegnet, sondern daß sich unier Leben innerlich gestalte und vollende. daß sich unsere Seele entfalte zu dem, was der Schöpfer uns zu werden gab. Danach allein, ob wir diesem Ziele näher kamen oder nicht, bestimmt sich der Wert der Zeit für uns. So betrachtet, kann ein Jahr viel oder wenig bedeuten. Da kann ein Jahr wie ein kurzer Augenblick sein und eine kurze Tagesspanne mehr bedeuten als viele Jahre. – Und doch, wenn die Sonne ihren kürzesten Tages bogen erreicht hat und die lange Nacht die ganze unendliche Fülle ihrer Sterne über unsern Bergen entfaltet, dann steigt aus tiefster Finsternis das Licht wieder siegreich empor, langsam und unmerklich zuerst zwar, aber sicher und lebenbringend. Der Kreislauf des Jahres erneuert sich, und aus Tod und Winterstarre beginnt das Leben von neuem. Wir sind hineingestellt in diesen Kreislauf des Lebens. Die Jahre sind gleichsam die Pulsschläge, die auch unser Leben durcbluten. So betrachtet, bedeutet die Vollendung eines Jahres doch einen Abschnitt, der Rückschau und Vorschau heischt.

„Das Jahr geht still zu Ende,
nun sei auch still, mein Herz!
In Gottes treue Hände
leg ich nun Freud’ und Schmerz.“

Das ist’s, daß wir uns des Zusammenhanges unseres Lebens mit dem All bewußt werden, daß wir in allem Gottes Walten erkennen, das auch uns liebend umfängt. Diese Erkenntnis wird uns niemals erwachsen, wenn wir nur immer uns selbst als Mittelpunkt der ganzen Welt betrachten und die Liebe ermessen an dem, was uns im Leben Angenehmes oder leidvolles begegnet. –

Neujahr heischt Rückschau und Vorschau: Rechenschaft ablegen darüber, wie weit die Spanne zwischen den beiden Sonnenwenden uns Vollendung und Reifung bedeutete, und Kräfte bereit haben für die Aufgaben im neuen Jahre. Wenn die Menschen Neujahr mehr unter diesen Gesichtspunkten sähen, dann würden unsere häuslichen und gesellschaftlichen Neujahrsfeiern weniger hohl und geschmacklos und leichtfertig sein. Sie würden mehr sein Stunden ernster Rückschau und Selbstbesinnung und fröhlicher Zuversicht und Kräftesammlung. Not wäre überhaupt, daß wir wieder lernten, Feste zu feiern. Sonntagsfeiern, wo haben wir noch wirklich solche? Wo erfüllt noch der Karfreitag die Herzen in innerster Tiefe mit heiliger Ehrfurcht vor der Größe des Opfertodes Jesu? Wo bedeuten die großen christlichen Feste noch mehr als eine willkommene Gelegenheit, gute Speisen zu sich zu nehmen und seinem Vergnügen nachzugehen?