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Brauhausteiche und ein Stück den Rathausberg wieder hinauf. Das ging wie der Blitz. Wir kannten kein Hüfen. Je rasender, desto besser. Die Tränen purzelten nur so aus den Augen, und doch mußten wir scharf hinsehen.

     Hinter einer Schneeschanze, hinter einem übereisten Bottich lauerte der Büttel. Mit seinem Hakenstock riß er den Schlitten herum, da hieß es flink sein, zutreten zur rechten Zeit und ausbündeln durch Nebengassen, wenn man unten am Berge absprang. Griff sich der Büttel einen, so schleppte er ihn zur Timnitz, wo die armen Vagabunden hinter den eisernen Traljen saßen. Auf unser Mordgeschrei kamen wir an der grauenvollen Tür wohl wieder los, aber der Schlitten verschwand. Ich habe meinen einmal erst um Pfingsten wiederbekommen.

     Die Mädel konnten nicht so gut lenken wie wir, hatten auch meistens Kufen ohne Eisenschienen; da nahmen wir sie denn auf den Schoß. Sie legten den Kopf auf unsere Schulter, schlangen die Ärmchen um uns, und dann gings hinunter wie ein Wetter. Da ist mir auch einmal ein Unglück passiert.

     Sie hieß Emilie und war blond. Ihre Arme legte sie so fest um meinen Hals und ihren Krauskopf so dicht an mein Gesicht, daß ich nicht sehen und mich kaum rühren konnte. Wir fuhren denn auch eine Frau über. Die Harzweiber waren damals eine eigene Art von Menschen. Mundwerk und Handgelenk saßen ihnen sehr lose. Wir drei wickelten uns nicht auseinander, ohne daß Emilie und ich mehr als rote Backen hatten.

     Besser ging das Ruscheln doch ohne Mädel.

     Die Großen ruschelten, wenn wir zu Bett waren. Die nahmen auch Handschlitten, auf denen sie tagsüber ihr Holz aus dem Wald holten, und dann wagte sich der Büttel nicht allein auf die Straße.

     Da hatte mal meine Großmutter eine besondere Freude. Der Steiger Hartmann, mein Großvater war ein kurriger Mann, beliebt bei hoch und niedrig, aufgelegt zu allerlei lustigen Streichen. In einer feinen Mondnacht hatte er sich mit anderen – auch einige höhere Bergbeamte waren darunter – zum Ruscheln verabredet. Der Berghauptmann hatte davon gehört und die Polizei durch den Gendarmen verstärkt. Noch knurrte meine Großmutter über den alten Leichtfuß, als eins ihrer zwölf Kinder ins Haus stürzte und rief: „Mutter, se namme Voter den Schlieten wack!“

     „Gott sei Dank!“, sagte sie, „nu bleiter derhem!“

     Sorglos war das Ruscheln, wenn der Schnee auf den Wiesen so hart gefroren war, daß er uns kleinen Kerle trug. Da konnte uns nur eins passieren, daß wir nämlich gegen einen albversteckten Grenzpfahl fuhren, und das passierte uns denn auch in der Regel. Der Schlitten zersplitterte, und wir flogen und kollerten kopfüber in den Grund hinunter.

     Auf die Teiche kamen wir selten. Wer da Schlittschuh laufen wollte, mußte Schaufel und Besen selbst in die Hand nehmen, um sich eine Bahn zu brechen. Dafür liefen wir auf Schneeschuhen die Straßen hinunter. Das waren aber keine Skis, sondern nur hölzerne Schlittschuhe mit allerlei Riemenzeug, und ein Vergnügen wars eigentlich auch nicht. Die Kniee zitterten, die Tränen purzelten, und den steilen Berg hinauf wurden die kleinen Beine todmüde.

     Der Teich hat seine eigenen Erinnerungen. Einmal hatten sie, wo der Striegel war, das Eis aufgehauen. Der Striegel wird gezogen, um das Wasser abzulassen. Nur ein kleines Stück von dem Pfahl ragte aus dem Wasser. Ein großer Junge trat darauf und sprang hinüber. Mein älterer Bruder wollte es nachmachen, trat aber fehl und stürzte in das Loch. Ich hielt ihn am Schachtstiefel fehlt. Sein Kopf mit der kaffeebraunen Pudelmütze lag im Wasser. Er wäre unter das Eis geraten, wenn nicht im letzten Augenblick ein Nachbarsohn ihm beim Arm herausgezogen hätte. Wir brachten den Triefenden und halb Erfrierenden nach Haus. Mutter sagte: „Der Nächste, der mir so kommt, kriegt Prügel.“

     Im nächsten Winter fing es schon an zu tauen. Am Rande des Teiches lösten sich die Schollen. Da halfen wir kleinen Kerle nun nach. Ein Kamerad, Dreikäsehoch wie ich, hackte mit dem Stiefelabsatz, der bei uns wie bei den Pferden mit Eisen beschlagen war. Ich hielt ihn. Er fiel hinein mit seiner Scholle und ich hinterher. Es war unheimlich. Wir schrien nicht, aber wir stöhnten.Wir hatten keinen Grund, aber unsere Tornister hielten uns hoch. Ein dicker alter Herr stand am Ufer und rief, wenn wir rauskämen, sollten wir Prügel haben. Der nun auch und Mutter zu Haus! Beinahe wäre ich am liebsten im Teich geblieben. Da rührte ich mit dem Knie an Hartes. Wir stiegen ans Land und machten einen Umweg. Dem dicken Mann wollten wir nicht in die Klauen fallen. Freilich Mutter war nicht zu umgehen; doch sie sagte: „Nun noch einmal, dann aber !“

     Mein jüngster Bruder fiel denn auch ein paar Winter später in denselben Teich, und er, obgleich er der beste war von uns dreien, hat die Prügel für uns mitgekriegt.