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Clausthaler Winter
Von Adolf Ey.


Adolf Ey, unser allverehrter, gereiser, aber immer noch rüstiger Heimatdichter, der nach einem arbeitsreichen Leben in Waldhausen bei Hannover im Ruhestande lebt, ist in Clausthal geboren. Seiner Bergheimat hat er treues Gedenken bewahrt, und immer noch kehrt er gern, wie auch im verflossenen Sommer wieder zur Erholung im Oberharze ein. In seinen Lebenserinnerungen „Bekenntnisse eines alten Schulmeisters“ (Berlin 1914, A. Hoffmann & Comp.) hat er seiner Vaterstadt Clausthal ein klassisches Denkmal gesetzt. Wir wünschen diesem köstlichen Buche einen Platz in jedes Oberharzers Haus und Herz. Das nachstehende Stück ist ein Kapitel aus diesem Buche. Wir drucken es mit gültiger Erlaubnis des Verlegers hier ab.

     Unser Häuschen war wenig mehr als eine Bergmannsbucht. Vorn einstöckig, hinten hatte mein Vater noch eine Kammer aufbauen lassen. Drei Fenster Fron, Haustür und das vergitterte Dielenfenster. Hinter dem Hofe stand der Stall.

     Im Winter waren Haus und Stall oft nur durch einen Tunnel im Schnee verbunden. Bei der Kälte aber segnete die Mutter den Schnee; denn er hielt unsere vier Kühe warm, und wie weit wären wir ohne die Kühe gekommen? Ich bestimmt nicht auf die Universität. Eine Kuh ist für mich noch immer der Gegenstand einer Art kindlicher Verehrung.

     Ein frischgeborenes Kälbchen war einer meiner ersten Spielkameraden. Trotz des Schnees froren die Kühe im Stall. Unsere Bleßkuh hörte ich einmal die ganze Nacht brüllen. Am Morgen sagte Mutter: es sei ein Kälbchen geboren, und damit es nicht von der Kälte litte, trugn sie es in unsere hintere Stube. Unter der Käsebank wurde eine Streu zurecht gemacht. Da lag das Tier, und ich hockte davor. Wir sahen uns an und wurden gut Freund, bis eines Abends der Hirt es abholte. Am Sonntag darauf sagte Mutter nach dem Essen: „Na, weißt Du, was Du gegessen hast?“ Ich wußte es nicht. „Nun“, Sagte sie „vom Kälbchen.“ Ich mußte weinen und hinausgehen. Wir wren so gute Freunde gewesen.

     Wenn ich an meine Kindheit denke, so kommt es mir vor, als sei fast immer Winter gewesen. Die Zäune bis obenhin verschneit, der Haustritt verschwunden, der Fußsteig ungangbar, nur auf dem Fahrweg eine schmale hohe Spur, gerade breit genug für den schweren Postschlitten.

     Wir hörten die Schellen schon am Schlagbaum klingeln. Der Postillion blies trotz des Gestöbers. Die drei Pferde setzten sich in Trab den Berg hinunter. Wir Jungens standen und lauterten; denn ungefährlich war die Fahrt nicht. Besnders an den abschüssigen Seitenbahnen nach den Haustüren hin. Dicht vor unserm Hause kippte einmal die Post um, so daß der rotjackige Kutscher in einer Schneewindwehe verschwand und die insassen aus dem Fenster oben herauskletterten mußten. Einer von uns muß wohl gelacht haben, denn ein älterer Herr schimpfte.

     In den Schnee wühlten wir uns hinein wie die Bergleute in den Schacht. Wir gruben Höhlen von zwei Räumen, die durch einen Gang verbunden waren. Eng und niedrig, eben weit genug, daß wir Knirpse durch konnten. Ich weiß noch immer nicht, wie es kam, daß nicht mindestens eines von uns darin erstickte. In der zwängten wir uns durch.

     Einmal nahm ich eine kleine Freundin mit. Sie hieß Anna und hatte dunkles Haar. Sie war meine Frau, und das war unser Haus. Der hintere Raum war die gute Stube. Da saßen wir und sahen uns an, und als wir wieder hinaus wollten, da konnte sie nicht durch. Sie kriegte Angst und weinte. Schreien nutzte nichts. Der Schnee dämpfte den Schall, und es war zu weit weg vom Hause. Mir war auch bange, aber dann kratzte und kratzte ich an dem Schnee und zog und zog sie an den Ärmchen, bis wir endlich draußen waren. Seitdem wollte sie nicht mehr in unser Haus hinein.

     Wir bauten aber auch Burgen mit Wall und Graben. Die da drinnen in dem runden Turm saßen, hatten es schlecht; denn jeder Sturm fing mit einem Hagel von Schneebällen an, und das Loch, aus dem die Pudelmüzen der Verteidiger auftauchten, war leicht und sicher zu bestreichen. Bei dem Sturmlaufen selbst gerieten zwar die Angreifer mehr in Not.

     Und nun das Ruscheln! Wenn der Schnee knirschte, wenn die Bahn in den steilen Straßen Clausthals hart und glatt war, und wenn nun gar der Mond schien – o, und wo schneit der Mond so hell wie in Clausthal! – dann versammelten wir Jungen und Mädel uns am Brink vor meines Großvaters Haus. Das war ein Gepiepse, wie von einem Sperlingsschwarm. Wir redeten tapfer, aber das kleine Herz klopfte; hatte doch die Polizei das Ruscheln auf der Straße verboten. Es half aber alles nicht; hinunter mußten wir. Angesetzt! Haus da! Und die Kufen donnerten den Berg Hinunter bis zum