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weil er nicht auf die Mutter hört, die er doch sonst in allen Stücken ehrt. Behüte ihn unser Herrgott.“ – fuhr Klaus nach einer Weile fort, „gerade in den Brüchen, wo er steht, droht Gefahr. Ihr werdet’s ja auch gehört haben, daß die große Felswand, unter der sie arbeiten, nicht mehr fest ist, sie kann mit jedem Augenblick einstürzen, – ich darf nicht daran denken, – wenn er umkäme?! Großer Gott!“ – –

     Frau Helmbrecht schlich mit wankenden Knien davon, ihre Füße wollten sie nicht mehr tragen. „Die Felswand, unter der sie arbeiten,“ sagte der Knecht, sie ist nicht mehr fest“ – sie sank auf einen Stuhl und barg ihr Gesicht in die Hände. „Und das Schandgeld – um elende 150 Taler ließ ich ihn in den Tod gehen! – wenn die Felswand einstürzte und ihn begraben würde!“ jammerte sie händeringend, immer und immer die selben Worte wiederholend, ohne müde zu werden.

     „Ja, der Klaus hat recht: Es muß etwas ganz besonders Gutes sein, das er durchführt, weil er diesmal nicht auf die Mutter hört. – Freilich ist es etwas Gutes, wenn er mit seiner Hände Arbeit die 150 Taler verdient, um sie den Hendricks in ihrer bitteren Not zu bringen, – die da drinnen im Schrank liegen, – und die ich unbarmherziges Weib ihnen verweigerte. Gott, mein Gott, vergib und strafe nicht!“ flehte sie und trat vor das Bild des Gekreuzigten, – vergib, ich will sühnen, was ich gefehlt, nur bringe mir meinen Sohn wieder heim!“

     Während seine Mutter so betete, legte Christian Keil und Hammer nieder, denn es war Frühstückszeit. In der Hütte, die unter der überhängenden Wand erbaut war, brannte ein hell loderndes Feuer, die Männer hatten sich darum gelagert, unter ihnen befand sich auch unser Freund, der an ihrem Gespräch teilnahm und doppelt jetzt für das Los dieser Armen sich interessierte, seitdem er sich zu ihnen gesellt hatte.

     Draußen fiel ein feiner, aber um so dichterer Regen, der Wind wehte kalt, um so besser ruhte sich’s unter dem schützenden Dache.

     Doch welch ein Getöse! – Welch ein Knirschen, Krachen, Dröhnen! – Barst die Erde? – Splitterten die Felsen? – Stürzte der Himmel ein? – Sie alle sprangen empor, wilde Angst, Entsetzen in den Zügen – sie fragen nicht, – sie hätten nimmer Worte dafür gefunden; aber nur Flüchtig, denn Nacht ward es plötzlich, furchtbare, entsetzliche, grauenvolle Nacht! – die Felswand ist eingestürzt, aber die Felsplatte hatte sie beschützt, sie leben, sie atmen, sie sind dem Tode des Zerschmetterns entgangen, um den langsamen, dem entsetzlichen, dem sicheren Tode, im unterirdischen Grabe verschmachten zu müssen, entgegen zu gehen.

     Gelähmt, völlig des Denkens beraubt, starren die Unglücklichen in dieses Dunkel, dann bricht ein Sturm los, ähnlich dem schäumenden Gießbache, der vom hohen Felsengrat in die Tiefe sich stürzte.

     „Lebendig begraben“ – lallt einer mit schwerer Zunge, sie versagt den Dienst, ungefügig stammelt sie die Schreckensworte; aber sie haben das Schreckliche in Worte gekleidet, und alle sprechen es nach, grinsend, weinend, stammelnd: „Lebendig begraben!“

     Da ruft einer Gottes Barmherzigkeit an, ein anderer zürnt seinem Schöpfer, der dritte legt freiwillig ein Geständnis seines in Sünden geführten Lebens ab, er reißt sich selbst die Maske weg, besser sie hören ihn alle, sie verdammen ihn alle, als mit dieser Schuld hinüberzugehen in die Ewigkeit.

     Und in dieses Chaos von Wahnsinn, Verzweiflung, Todesfurcht und Grauen mischten sich himmelstürmende und gottergebene Gebete, Gebete für sie, die man so heiß, so innig, so treu geliebt: der, welcher die Erde und den Himmel regiert, er möge den Verlassenen Trost, Schutz und Hilfe sein!

     Und Christian betete für seine Mutter, für sich. Ob auch seine Handlung eine gute zu nennen war, er hatte seiner Mutter damit großes Leid zugefügt, er hatte gegen ihren Willen gehandelt und er sah in dieser schrecklichen Stunde für sich, sein Opfer hatte Gott verworfen, – er konnte nur noch beten, daß der Herr die geliebte Mutter über sein schreckliches Ende trösten wolle.

     Frau Helmbrecht hatte ihrer Gewohnheit getreu ihren einmal gefaßten Entschluß auch sogleich ausgeführt. Sie legte die Scheine auf den Tisch, Christian sollte sie an seinem Platz finden, wenn er heimkehrte, sie malte sich seine Freude aus, wenn er dieselben zu Hendricks bringen würde, wieviel leichter der Familienvater, der an der Pforte des Todes stand, aus der Welt scheiden würde, wenn den Seinen ihr kleines Besitztum damit gerettet würde. Sie war noch völlig in schöne, friedvolle Träume und Gedanken versunken, als die halbtaube Magd in das Zimmer stürzte.

     „Die Felswand! Die Felswand! Sie ist eingestürzt! – Frau, hört Ihr’s? – Ach der Christian, der Christian!“

     Verständnislos starrte Frau Helmbrecht einen Augenblick in das entsetzte Gesicht, sie konnte so schnell das Ungeheuerliche, das Gräßliche nicht fassen. Dann raffte sie sich auf und eilte hinaus in wilder Hast, die Dorfgasse hinab, an jammernden Weibern, an schreienden Kindern vorüber, dorthin, wo sie