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Der Chor der Toten spricht:

Wir, die wir ruhen, reden zu euch, den Wanderern. Hört!

Zum Brudervolk sind wir gewachsen! Die leßte schwere Not hat uns zusammengebunden aus allen Stämmen, Gauen und Geschlechtern.

Blutsverwandt ließ uns das Schicksal werden; wir wissen wahrhaftig, was das heißt.

Wie der Wolken graue Wand, in welche die Abendsonne mit blutigrotem Schein herabsinkt, so sind wir aufgetürmt zu Scharen tausender Erschlagener. Unsere Sonne aber geht nicht unter.

Wir starben nicht an etwas, sondern für etwas: nicht an Siechtum und Krankenlager, sondern für das weite, nahe Vaterland. Im Sterben noch hat uns das Geschickden goldenen Schlüssel in die Hand gedrückt, der das Schloß eurer Zukunft öffnet. Wir starben auf des Lebens Höhe, liegen wir auch verscharrt im Graben oder auf des Meeres Grund. Kein Schicksal ist undurchdringlich, dringt ihr nur hinein mit segnendem Willen. Solchen Weg weisen wir euch.

Hütet euren Leib, ihr Erdenkinder. Er ist euer treuer Kamerad. Alles hat er mit uns geteilt, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Von ihm sich trennen, war bitter. Haltet ihn gesund und frisch, daß er euch diene, und ihr sein Herr bleibt. Dein Leib ist dein Weggenosse, liebes Volk, in Arbeitstagen und Festeszeit. Wache über seine Reinheit, behüte sie in Jugend und Geschlecht. Das sagen wir euch, der Chor der Toten.

Pflegt eure Seele, ihr Menschenkinder! Kein Juwel kommt ihr gleich. Wir sterben, damit ihr unversehrt sie erziehen könnt in allem, was tüchtig, wahr und echt ist. Man lebt in Staub und Schmutz, in Gefahr und Tod nicht vom Brot, jondern von dem Schatz der Seele. Wehe, wenn sie leer ist! Glückselig, wer sie füllt mit ewiger Straft! Solche kommt aus der Pflicht des Tages und aus unvergänglichem Besitz. Seele und Gewissen sind des Volkes trutziger Hort. Drum forget daß ihr eure Seele nie verliert. Das sagen wir euch, der Chor der Toten.

Liebt euer Volk, ihr Stammeskinder. Wir starben nicht, daß ihr euch betrügt, übervorteilt und beneidet. Wir starben, damit ihr euch achtet, tragt und einander helft. Auf eherner Tafel stehe dies Gesetz, und über jeder Tür dieser Spruch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Reich gesegnet vor anderen ist eure Heimat. Euer Stolz, für sie zu leben, sei um nichts geringer, als unser Stolz, für sie gestorben zu sein. Sie braucht euch zehnfach; denn viele sind weggegangen. Aber sie stärkt euch tausendfach, wenn ihr in sie verwurzelt bleibt mit all eurem Sinnen und Handeln. Eure Wurzeln berühren uns tief unter dem Boden. Zuerst kommt dein Volk, dann erst du! So sagen wir euch, der Chor der Toten.

Ihr unsere Väter und Mütter, ihr unsere herzenstrauten Frauen und Kinder, ihr Brüder und Schwestern, weinet nicht! Das Fortgehen war schwer, das bleibt wahr. Aber wir leben „in der Erkenntnisse Land“ und begleiten euch und eure Zukunft im Geist und in der Wahrheit. Wir wachen an eurem Herd und kämpfen mit euren Sorgen. Wir sind wie der Morgenwind und die Abendstille, wie ferner Glockenton und wie der Sonnenstrahl, der in euer Zimmer fällt. Wir sind die Wege, auf denen der Himmel zur Erde kommt. Nur eins werden wir nie tun, euch hemmen oder hindern.

Unsere Erkenntnis heißt: Gottes Rat, der Ewigkeit Weisheit, ist unantastbar gut. Das ist unsere unerschütterliche Gewißheit. Ihr müßt noch darum kämpfen, davon nehmen wir euch nichts ab. Wenn ihr jetzt noch nicht gelernt habt, daß nur das Heißerkämpfte wert ist, daß es bleibe, dann seid ihr unserer nicht wert. Ihr dankt uns, wir danken euch. Ihr gedenkt unserer. Wir liegen mit Blut und Seele, Wunsch und Kraft in eurer Zukunft eingeschlossen, unverlierbar. Eure Zeit heißt: Wandern. Dankt und wirkt! Unsere Zeit heißt: Schauen. Wir grüßen euch und segnen euch, wie wir es nie konnten, so lange wir bei euch waren.

Und wenn der Tag des Friedens kommt, dann wollen wir dabei sein. Ihr sollt unsern heißen Atem spüren. Unsere Augen sind hell geworden. Laßt eure nicht verdunkeln, sondern tut mit freiem Gewissen alles, was notwendig ist für ein größeres Deutschland. Wir wollen unvergessen sein an jenem Tag, damit wir nicht noch einmal sterben müssen.

Blutgefurchtes Land, trage neue Frucht! Bluterkauftes Volk, werde ein Held, wachse und heile die Wunden! Wir bleiben zusammen, Vollendete und Unvollendete. Ein King umschließt uns beide. Eines Lebens Strom fließt aus Zeit in Ewigkeit und aus der Ewigkeit in die Zeit.

Aus den „Eisernen Blättern“ von Dr. Traub, Dortmund.