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entschloß er sich, weiter zu beobachten. So blieb ich liegen von Dr. L. immer wieder sorgfältig untersucht. Ich weiß nun nicht mehr, ob ich nur den ganzen Samstag dort lag oder auch schon den Freitag über, jedenfalls zeigten sich dann doch ganz einwandfrei Schmerzen am Blinddarm, sodaß Dr. L. sich zur Operation entschloß, die jedenfalls am Sonntag, den 14. Okt. um 1/2 10 Uhr Vormittags vorgenommen wurde.

     Ich selbst war außerordentlich ruhig, in erster Linie, weil ich zu Dr. L. ein großes Vertrauen habe u. zweitens, weil ich dem Gedanken des Sterbens mit großer Gelassenheit gegenüberstehe. Natürlich empfand ich gegenüber Martha großes Mitgefühl. Sie hat ja schon Max an derselben Krankheit verloren u. wenn ich sie grade jetzt hätte allein lassen müssen, wäre das für sie überaus schmerzvoll gewesen. Aber ich glaubte innerlich nicht daran, – ich stellte die Sache ganz allein Gott anheim, der ja in jedem Falle unsere Geschicke richtig lenken wird.

     Die Operation ergab dann, daß wirklich der Blinddarm entzündet gewesen war u. daß die Schmerzen in der Rippengegend des Rückens nur Folgeerscheinungen waren u. von den Lungen herkamen, sowie vom Rippenfell. Es handelte sich also nicht um Nierensteine, – u. das war ja wieder ein großer Vorteil. Die Operation u. der Heilungsprozeß verliefen glatt.

     Am Montag – oder Dienstag –, ich weiß es nicht mehr genau, – wurde mir die Nachricht vom spurlosen Verschwinden von Prof. Alfred Partikel überbracht. Er ist am Vormittag zum Pilzesuchen gegangen u. ist nicht zurückgekehrt. Seine Freunde, bzw. die seiner Frau u. das ganze Dorf veranstalteten sofort eine große Suchaktion, die jedoch von dem Russen-Kommando im Monheim'schen Hause behindert wurde, indem die Russen nur einigen Wenigen das Suchen gestatteten u. die anderen wieder nachhause schickten. Ich nehme mit Sicherheit an, daß hier eine Absicht vorliegt. Irgend ein Soldat wird Partikel erschossen haben, – vielleicht aus Versehen, – vielleicht hat er ihn für Wild gehalten, – u. nun wollen die Russen die Sache vertuschen u. haben P. irgendwo im Sumpf verscharrt. – Die Sache hat natürlich große Erregung ausgelöst. Frau Daubenspeck ist nach Schwerin zur Regierung gefahren, wo man sie wohl angehört hat; aber man hat bedauernd die Achseln gezuckt, jedenfalls hat man nichts unternommen. Das habe ich auch nicht anders erwartet, wir sind eben alle den Russen ausgeliefert u. sind völlig wehrlos.

     Seit gestern Abend bin ich nun wieder zurück. Ich bin wieder mit Brandt's Ackerwagen gefahren, ein anderes Gefährt haben wir ja nicht mehr im Dorf. Diesmal fuhr mich Herr Clemens, auch Frau Schroeder, Brandt's Tochter, war auf dem Wagen. Martha hatte mich abgeholt, auf dem Wagen waren Korbstühle aufgestellt, einer für Martha u. einer für mich. Es war kalt u. windig, aber wir waren gut mit Decken versehen. Als wir an der Batterie vorbei kamen, war diese wie ausgestorben, nicht einmal ein Posten war zu sehen. In Wustrow hatte es schon vorher gehießen, daß fast alle Russen abgerückt seien.

     Ich freute mich sehr, wieder zu Hause zu sein, wo geheizt war u. alles hübsch zurecht gemacht war. Trude Dade wohnt jetzt wieder ganz bei uns, was sehr erleichernd ist. Frau Schuster kam gestern Abend noch u. sagte mir, daß die ganze Gemeinde nur den einen Wunsch hat, ich möge bald wieder die Geschäfte übernehmen; aber ich will nicht. Herr Dr. Lasch hat mir eine Bescheinigung geschrieben, daß ich mindestens noch 8 Wochen lang völlig arbeitsunfähig sein würde u. er hat mir gesagt, daß er diese Bescheinigung in 8 Wochen nochmals ausstellen würde. Ich muß auch sagen, daß ich tatsächlich vorläufig noch völlig arbeitsunfähig bin, – ich bin überaus abgemagert. Das Essen war in Wustrow sehr dürftigt.

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Hans Brass: TBHB 1945-10-27. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-10-27_002.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2024)