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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Arbeitern – selbst in Dänemark, wo eine besonders lebhafte Entwicklung zu verzeichnen ist, betrugen am 31. März 1913 die in den 55 Kassen gegen Arbeitslosigkeit Versicherten (120 289) von den Versicherungsfähigen nur ungefähr 60% – und noch dazu die relativ leistungsfähigsten unterstütze. Um diesen zu entkräften, hat man Ergänzungen versucht. So hat das norwegische Gesetz vorgeschrieben, dass die nichtorganisierten Arbeiter zu den subventionierten Arbeitslosenkassen zugelassen werden müssen, aber ohne Stimm- und Wahlrecht und gegen erhöhten Beitrag behufs Mitdeckung der Verwaltungskosten. Auch in Dänemark stehen die Kassen gesetzlich allen Arbeitern offen. Allein dieser Weg ist nicht empfohlen; die einzelnen Arbeiter sind bestimmten Arbeiterverbänden abgeneigt, die wirtschaftlich schwächsten treten ohnehin nicht bei, die Arbeiterverbände wollen fremde Elemente nicht haben und können schwer sie kontrollieren; in Norwegen und Dänemark sind denn auch nur wenige Nichtorganisierte beigetreten. In Strassburg und in Mühlhausen i. E. glaubte man dadurch zum Ziel zu gelangen, dass man die nicht organisierten, nicht subventionierten Arbeiter auf die Notstandsarbeiten verwies, eine Lösung, die auch nicht ganz befriedigte, weil manche Arbeitslose für die ersteren sich nicht eignen. Dass in Strassburg für den Notstandsarbeiter 1908 der Zuschuss 52,5 M., für den versicherten Arbeitslosen 12,66 M. betrug, beweist jedoch an sich nichts gegen das System; die Notstandsarbeiter hätten auch bei der Versicherung wohl mehr gekostet, da sie im Winter lange arbeitslos sind. In Erlangen und Mannheim verfolgt man die Methode, dass man an die organisierten Arbeiter einen Zuschuss, an die nichtorganisierten gelernten Arbeiter den gleichen Satz als Unterstützung gibt, die nicht gelernten dagegen mit Notstandsarbeiten erhält. Diese Methode hat den Nachteil, dass sie die Vorsorge nicht fördert und ein reines Almosenelement einschiebt. Die Genter Kombination, deren Schöpfer Varlez ist (1900), und die von der Mehrzahl der belgischen Städte – in ganz Belgien sind aber nur etwa 10% der Arbeiterschaft durch Versicherung sichergestellt – auch von Freiburg i. B., Schöneberg, Stuttgart, Feuerbach angenommen wurde, geht darauf hinaus, dass sie denen, welche nicht der Arbeitslosenkasse einer Arbeitervereinigung angehören, die gleichen Zuschüsse, wie den Versicherten, zuspricht, soferne sie in bestimmter Weise Ersparnisse machen. Allein diese Ergänzung hat gänzlich fehlgeschlagen; die Arbeiterkategorien, an die man sich hier wandte, sind vielfach zu schwach, um Vorsorge üben zu können und zu wollen. Nach der Baseler Kombination, die dem Ges. v. 16. Dez. 1909 zugrunde liegt, werden die Privatkassen und daneben eine staatliche Arheitslosenkasse unterstützt; letztere beruht auf der Grundlage des freiwilligen Beitritts und steht den Arbeitern, welche den Privatkassen nicht angehören, offen. Wie der Jahresbericht pro 1911 erwähnt, überwiegen auch bei dieser die Arbeiter des Baugewerbes und der damit verwandten Handwerke. Dem Baseler Typus (Zuschüsse an Verbände und an eine freiwillige Versicherungskasse) sind Schwäbisch-Gmünd und Kaiserslautern gefolgt. Schliesslich sei auch noch die Kombination erwähnt, welche die bayrische Regierung den Städten 1909 empfohlen hat: es sollen die Arbeitslosen der von den Arbeitern errichteten Arbeitslosenkassen und die arbeitslosen Sparer unterstützt werden, ausserdem auch die Arbeitslosen einer allgemeinen Arbeitslosenkasse; bei letzterer sollen die Beiträge verschieden abgestuft werden, je nachdem es sich um Ledige und Verheiratete und in jeder dieser Kategorien um gelernte Dauerarbeiter, ungelernte in Dauerbetrieben beschäftigte Arbeiter, ungelernte in Saisonbetrieben beschäftigte Arbeiter und gelernte Saisonarbeiter handelt; das Tagegeld soll auch für Ledige und Verheiratete verschieden sein. Am 30. November 1913 hat die bayrische Regierung 75 000 M. pro Jahr bei dem Landtag beantragt, um diejenigen Gemeinden, welche die Arbeitslosenversicherung einführen, zu unterstützen.

Die besprochenen Versuche auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung sind lokaler Natur und beruhen nicht schlechthin auf Zwang. Auch die obligatorische Versicherung, die die Firma A. L. Mohr A.-G. in Altona-Bahrenfeld in den Jahren 1896–1906 gegenüber ihren Arbeitern durchgeführt hatte, ist insofern keine streng obligatorische gewesen, als niemand gezwungen war, als Arbeiter in das Unternehmen einzutreten. Dagegen war eine wirklich obligatorische Versicherung die von der Gemeinde St. Gallen am 23. Juni 1895 auf Grund des Kantonsgesetzes v. 19. Mai 1891 beschlossene. Sie dauerte nur 2 Jahre. Da die Prämien lediglich nach der Lohnhöhe abgestuft waren, führte die Versicherung zu grosser Erbitterung bei den gelernten und qualifizierten

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/72&oldid=- (Version vom 12.11.2021)