Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/390

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

um alles Einzelne kümmern; die staatliche Fürsorge und Bevormundung wurde das Kennzeichen des jetzt im Verhältnis zu dem schon früher geöffneten China schnell fortschreitenden Landes. Die Periode der „Aufklärung“ musste unter den gegebenen Verhältnissen durch polizeiliche Bevormundung die Assimilisation Japans an die Zustände westlicher Länder möglichst zu beschleunigen suchen.

Ehe die Regierung in 20jähriger, an fehlgeschlagenen Experimenten reicher Tätigkeit das Volk an die Bedürfnisse, Betätigungen und Willensregungen des Maschinenzeitalters und der Gewerbefreiheit in freier Konkurrenz mit dem Auslande gewöhnt hatte, war noch eine politische und eine finanztechnische Aufgabe zu lösen. Den Widerstand des um seine Vorrechte gebrachten Schwertadels warf die Regierung durch Unterdrückung einer Reihe von Aufständen nieder, von denen der letzte, der Satsumaaufstand von 1877, der gefährlichste war. Der Papiergeldwirtschaft, die durch abenteuerliche Massnahmen der Regierung einen schlimmen Stand erreicht hatte, machte der Finanzminister Matsukata ein Ende, indem er mit grossen Opfern und nach vierjähriger Vorbereitung die Staatsbank (Nippon Ginko) in den Stand setzte, ihre Noten von 1885 an mit Silber al pari einzulösen. Seit 1886 wird in Japan das Papiergeld ohne Disagio und sogar lieber als das Metallgeld genommen, obwohl noch 1881 für 100 Yen in Silber 170½ Papieryen zu bekommen waren. Für das Gros der japanischen Bevölkerung bedeutete die schnelle Sanierung der Währung nach einer Periode leichtsinniger Papiergeldausgabe eine Verschlechterung ihrer Lage, da die Bauern den gleichen auf Yen festgesetzten Steuerbetrag entrichten mussten, als der Marktpreis ihrer Erzeugnisse nominell gefallen war, und da die Durchschnittslöhne für Männer und Frauen stärker sanken als die Lebensmittelpreise. Aber jetzt begann sich auch die Privatindustrie zu entwickeln, der die grosse vom Lande abwandernde und den Städten zuströmende Menschenzahl sehr zu statten kam. Somit beginnt seit 1887 für Japan die Industrialisierung, der umfangreichere Eisenbahnbau und die stärkere Betätigung im Schiffsverkehr. In den Häfen Ostasiens begann die japanische Kohle eine Rolle zu spielen; Baumwollspinnereien versuchten, für den Konsum im Lande zu arbeiten; Papierfabriken, Bierbrauereien, Zündholzfabriken, Verfertiger von Regenschirmen usw. suchten das Feld zu gewinnen, das sich bis dahin europäische oder amerikanische Fabrikate erobert hatten. Man rechnete besonders auf die niedrigen Löhne, durch die andere Schwierigkeiten, wie Kleinheit des Betriebes, hoher Zinsfuss der Kredite, Ungeschultheit des Arbeiterstammes ausgeglichen werden sollten. Die Schwankungen des Silberkurses erschwerten die Konkurrenz, wenn infolge der amerikanischen Gesetzgebung (Sherman Bill) eine starke Steigerung eintrat, und erleichterten sie, wenn, wie im Jahre 1893 nach Aufhebung der Bland Bill, ein Preissturz des weissen Edelmetalls auf dem Weltmärkte erfolgte.

Es ist bei der Unerfahrenheit der so lange in Abgeschlossenheit lebenden Bevölkerung und den erwähnten Störungen des inneren Friedens und der Währungsverhältnisse leicht erklärlich, dass die sich überstürzenden Versuche zur Erweckung der produktiven Kräfte nicht den erwarteten schnellen finanziellen Erfolg hatten. Die vom Staate betriebenen Fabriken mussten schon deshalb mit Verlust arbeiten, weil sie als Lehrbetriebe gedacht waren und die aus dem Ausland bezogenen technischen Berater hoch besolden mussten. Ausser Eisenbahnen, Telegraphen, Schiffswerften, Gewehrfabriken, einer Pulverfabrik, eines Hüttenwerks, einer Tuchmacherei und Gerberei für Militärbekleidungszwecke begründete und unterhielt die Regierung seit Mitte der siebziger Jahre auch eine Reihe von Musteranstalten für die Fabrikation von Zement, Glas, billigem Papier, Schrifttypen, Seife und manchem andern, was man im Lande früher nicht herzustellen vermochte. Filaturen für die Zubereitung der Rohseide zum Verkauf auf dem Weltmärkte, Baumwollspinnereien und Webereien nach europäischer Art, Seifensiedereien und Sodafabriken, Zuckerraffinerien und Laboratorien für Keramik und Färberei mussten als Pfadfinder von der Regierung entweder selber unternommen oder ausgiebig unterstützt werden. Den Provinzialverwaltungen konnte man von dieser Aufklärungsarbeit für Hebung des Gewerbfleisses nur wenig auferlegen, weil zu gleicher Zeit die musterhafte Organisation des Elementarschulwesens und die Herstellung fester Fahrstrassen für die sich schnell über das ganze Land verbreitenden zweiräderigen Karren zum Menschen- und Lastentransport die Lokalsteuern ausserordentlich anschwellten. Ja, die Regierung scheute sich nicht, Leistungen, die eigentlich dem Staate obliegen sollten, wie für den Bau und

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/390&oldid=- (Version vom 24.12.2021)