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IV. Gegen Hochschutzzoll und Trusts.

Nun scheint allerdings in diese Aussichten eine vollkommene Wendung gekommen zu sein durch den Sieg der demokratischen Partei bei der Präsidentschaftswahl 1912. Seit 1897 ist zum ersten Male wieder die demokratische Partei ans Ruder gekommen; auch das Repräsentantenhaus hat bei 292 Demokraten von 435 Mitgliedern eine demokratische Mehrheit. Wie bereits die ersten Schritte des seit Grover Cleveland ersten demokratischen Präsidenten zeigten, fasste er auch seine Aufgabe dahin auf, mit der gesamten inneren und äusseren Politik der Republikaner zu brechen. Er ist in jeder Weise gegen jenen Imperialismus, mit dem Mac Kinley und Roosevelt die Vereinigten Staaten geräuschvoll, aber auch erfolgreich in die Weltpolitik und das Konzert der Grossmächte einführten. Genau wie man 1898 als ein „Pivot“-Jahr der amerikanischen Geschichte auffasste, sollte auch das Jahr 1913 ein solches werden; nur dass die „Drehung“ nach der anderen Seite zurück gemacht werden sollte.

Zunächst die Folgen davon für die innere Politik. Wie der Sieg des Demokraten sich vor allem durch die immer stärker anschwellende Stimmung des Volkes gegen Hochschutzzoll und Trusts erklärte, so hatte auch der Präsident Wilson in seiner Botschaft an den Kongress, die er zur allgemeinen Verwunderung am 8. April 1913 persönlich diesem vorgetragen hat, sich entschieden als Gegner des Protektionismus bekannt. Die Übertreibungen, zu denen dieser gekommen ist, mit seiner Konzentration aller Produktionsmittel und seiner enormen Verteuerung des täglichen Lebens, hatten eben zu dieser Reaktion geführt. Es war doch wieder ein Zeichen für den ausserordentlich entwickelten gesunden politischen Sinn der Amerikaner, dass alle düsteren Prophezeiungen grosser innerer Kämpfe zwischen Produzenten und Konsumenten sich nicht bewahrheiteten, sondern dass man die Umkehr auf dem verfassungsmässigen Wege anstrebt, natürlich auch mit vielen erbitterten Kämpfen und mit Leidenschaft, aber sicherlich ohne Störung der öffentliche Ordnung und auch ohne Störungen im Staatsgefüge, wie sie von pessimistischen Beurteilern jener Ausartungserscheinungen häufig in Aussicht gestellt worden waren. Dem Kongress wurde bereits eine neue Zolltarifbill vorgelegt, in der der Präsident anknüpfte an den seinen Namen tragenden Tarif von 1893, der damals die bekannte Mac Kinley-Act von 1890 ersetzte. Sie trug mit ihrer Herabsetzung der Eingangszölle für zahlreiche Tarifpositionen denselben unsystematischen Charakter, wie diese Tarifbills in Nordamerika überhaupt, aber ihr Prinzip war klar zu erkennen, nämlich Luxusgegenstände weiterhin mit hohen Zöllen zu belegen, dagegen die Zölle auf Naturprodukte und notwendige, im Preise durch die Trusts unbillig gesteigerte Waren des Volkskonsums herunterzusetzen oder ganz zu beseitigen. Die Bill begegnete im Unterhause und noch mehr im Senat, der ja besonders stark unter dem Einflüsse der Trusts steht, sehr lebhaftem Widerspruch und gewann auch eine Bedeutung für die Parteientwicklung, weil sie sofort zur strikten Parteisache erklärt wurde. Sobald sie fertig war, fand ein „Parteicaucus“ der demokratischen Partei darüber statt; wer dann nicht zustimmte, wurde als Renegat bekämpft. Das war zweifellos eine kühne Massnahme, die aber die Partei und der Präsident wohl richtig berechneten, denn es drehte sich hier um die Interessen der Bevölkerung unmittelbar, und auf diesem Wege beseitigte man am leichtesten den Einfluss der berüchtigten „Bosses“ (Drahtzieher), die das politische Leben sonst in Amerika machen.

Die Wirkung dieser grundlegenden Änderung in der amerikanischen Handelspolitik kann natürlich erst später übersehen werden. Zweierlei ist aber schon deutlich. Genau wie 1893 kam Präsident Wilson auch zu dem Ergebnis, dass die aus den Zollherabsetzungen folgende Verminderung der Staatseinnahmen durch eine progressive Bundeseinkommensteuer eingebracht werden müsse. Sodann fällt die Bevorzugung von Westindien und Kanada auf, die in der neuen Tarifbill ausgesprochen ist. Westindien erhielt durch die Revision der Zuckerzölle einen Vorteil; im Verkehr mit Kanada sind die Zölle auf Mehl, Fleisch, Kartoffeln und Milch beseitigt und die auf Weizen, Vieh, Heu, Früchte und Butter herabgesetzt worden. Diese Massnahme, die sich aus der immer mehr zunehmenden Industrialisierung der Vereinigten Staaten erklärte, erfüllte Wünsche der Farmer in den westlichen Provinzen Kanadas und trägt, indem sie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden so nahe aneinander angrenzenden Ländern immer enger gestaltet, abermals eine grosse Gefahr für die ganz anders gehenden Tendenzen des englischen Imperialismus in sich. Denn dadurch

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/374&oldid=- (Version vom 20.12.2021)