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die Grenzstreitigkeiten auf diesem Gebiet zwischen England und ihnen entschieden waren, auch an dieses Verhältnis nicht weiter gerührt und die englische Kolonie als den stärksten Rest europäischer Kolonialherrschaft dort anerkannt. Die Frage ist, ob in der Zukunft die Stammes- und politische Gemeinsamkeit zwischen Mutterland und Kolonie stärker sein wird als die wirtschaftlichen und geographischen Zusammenhänge, die die Vereinigten Staaten und Kanada einander immer näher und näher bringen. Der Nordwesten Kanadas ist zum nicht geringen Teil von auswandernden amerikanischen Farmern besiedelt worden, und je stärker die Stadtbevölkerung der Vereinigten Staaten zunimmt, um so mehr wächst ihr Getreidebedarf, der, wenn er nicht vom Lande selbst befriedigt werden kann, naturgemäss die kanadische Einfuhr erfordert. Der Gegenseitigkeitsvertrag von 1911, der diese Zusammenhänge schon vorbereiten wollte, ist freilich gescheitert. Aber hier können die Vereinigten Staaten den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen und höchstens, indem sie die Notwendigkeit des Baues einer kanadischen Marine leugnen und Kanada als unter dem Schutze der Monroedoktrin stehend erklären, die Abneigung der Kolonie steigern, für die britische Reichsverteidigung Opfer zu bringen, und damit das Band zwischen Mutterland und Kolonie weiter lockern.

Schliesslich hat die letzte Periode der auswärtigen Politik der Union diese immer mehr in die Interessen des Stillen Ozeans hereingestellt. Durch die Annexion von Hawai (1898), den Gewinn der Philippinen (1898) und die Lösung der Samoafrage (1900) wurde die Union eine Macht im Problem des Stillen Ozeans, trat sowohl England (Australien), wie der holländischen Kolonialmacht in der Südsee, wie vor allem Japan gegenüber. Es war dann für sie selbstverständlich, 1900 und 1901 an den chinesischen Wirren und an der Erschliessung Ostasiens lebhaft und tatkräftig teilzunehmen. Sie stand da mit Deutschland zusammen auf der Seite der Mächte, die an einer Verletzung der Integrität Chinas gar kein Interesse haben, sondern sich nur die offene Tür für die freie Konkurrenz ihrer Industrie und ihres Verkehrs wahren wollten. So nehmen sie an den zahlreichen chinesischen Bahnbauten erfolgreichen und energischen Anteil. Der Vertrag vom 27. Nov. 1908 zwischen der Union und Japan, der auf die Initiative von Japan geschlossen wurde, erklärte, dass beide Mächte den bisherigen Stand im Stillen Ozean und in Ostasien aufrecht erhalten und die Unabhängigkeit Chinas, sowie die offene Tür garantieren wollten. Er zeigte, welches die beiden Hauptfaktoren in diesem Problem sein werden und welches zugleich auch die hauptsächlichsten Gegner sind. Je mehr die Vereinigten Staaten ihre pazifischen Interessen betonen, um so stärker müssen sie der kolonialen Ausbreitung Japans, die für dieses Lebensfrage ist, entgegentreten, – ein Gegensatz, der durch den in der Union ganz besonders scharf empfundenen Rassegegensatz gegen den gelben Mann, Japaner wie Chinesen, vor allem in den Weststaaten, noch sehr viel schärfer betont wird.

Was darüber hinaus die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten auf anderen Feldern angefasst hat, ist ohne Bedeutung. Sie macht ihr Schwergewicht als unbedingt gleichberechtigte Macht im Staatenkonzert durchaus geltend, hat aber vorläufig keine Veranlassung, in anderen Zentral-Fragen der grossen Politik, wie der Aufteilung Afrikas oder dem Schicksal der Türkei und dem Ausbau der Bagdadbahn, wesentlich mitzureden.

Immerhin ist also in noch nicht 20 Jahren die Verflechtung der amerikanischen Politik in die Weltpolitik unlöslich fest geworden und diese Notwendigkeit wird von den heute noch die Union beherrschenden Kreisen der republikanischen Partei, die in der Hauptsache die kapitalistischen Interessen vertritt, unbedingt verfochten. Mit der naiven Sicherheit und Unbefangenheit, die dem rasch emporgekommenen Kolonialvolk eigen ist, stellt man den Imperialismus der Engländer, der Russen, der Japaner, der Franzosen, der Deutschen einen eigenen amerikanischen Imperialismus entgegen, der, auf eine starke wirtschaftliche und physische Kraft pochend, den ganzen Kontinent für sich gewinnen und in dem Problem des Stillen Ozeans eine massgebende Stellung sich erobern will. Die Folgerungen, die sich daraus militärisch ergaben, sind ohne weiteres gezogen worden; ganz besonders hatte sich der Präsident Roosevelt die Förderung der amerikanischen Kriegsmarine als Aufgabe gesetzt. Die grosse Demonstrationsfahrt der amerikanischen Flotte 1907 und 1908 um Kap Hoorn herum in den Stillen Ozean zeigte auch die Erfolge seiner Tätigkeit. Freilich blieb und bleibt man noch weit davon entfernt, den ungeheuren Vorsprung eingeholt zu haben, den die europäischen Mächte auf dem Gebiete der Handelsmarine unbedingt haben.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/373&oldid=- (Version vom 20.12.2021)