Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/371

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Seit 1898 hat dieser Grundsatz allmählich sogar auch die Anerkennung der europäischen Mächte gefunden.

Über den bisherigen Gedankenkreis hinaus nahm die Monroelehre zweiter Fassung, in der sich die auswärtige Politik nach 1865 ausdrückte, schon in Aussicht, dass auch die noch vorhandenen Kolonien europäischer Mächte auf amerikanischem Boden verschwinden würden und dass „die Zeit wahrscheinlich nicht mehr fern sei, da durch den natürlichen Gang der Ereignisse die politischen Zusammenhänge Europas mit diesem Kontinente aufgehört haben werden, zu bestehen. Unsere Politik muss sich nach dieser Wahrscheinlichkeit dahin wandeln, die Handelsinteressen der hispano-amerikanischen Staaten enger mit den unseren zu verknüpfen und so den Vereinigten Staaten den Vorrang und alle die Vorteile zu verschaffen, die Monroe, Adams und Clay im Auge hatten, als sie vorschlugen, am Kongress von Panama teilzunehmen.“ (Bericht des Staatssekretärs Fish an den Präsidenten Grant 1870). Anzuwenden versuchte man diese neue Fassung der Monroelehre bei dem Erwerb von Dominica und Cuba sowie in dem Streben die Verbindung der beiden Ozeane durch einen Kanal für die Union zu reservieren. Noch waren es Anfänge, die nicht alle gelangen; namentlich hing an dem Kanalbau noch die Fessel des Vertrages von 1850 mit England, die die Union in ihren Entschlüssen an dieses band. Aber so bereitete sich schon in der Zeit vor Anfang der 90er Jahre die Wendung vor, die Europa dann doch überraschte. Die pazifischen Interessen der Union wurden immer stärker, der Gedanke, selbst Kolonien zu erwerben, gleichfalls immer verlockender, die Idee, um handelspolitischer Vorteile willen ganz Amerika gegen die europäische Konkurrenz abzuschliessen, immer populärer. Aber noch hatte man nicht das Gefühl, dass in diesem Programm bereits eine Notwendigkeit für die amerikanische Zukunft vorliege, dass mit anderen Worten der Imperialismus auch für die Union von Bedeutung werden könnte.

III. Expansionspolitik.

Diese Umwandlung hat sich nun deutlich in den 90er Jahren vollzogen. Je mehr sich die Union der ungeheuren Kraft bewusst wurde, die in ihrem wirtschaftlichen Leben lag, um so mehr drängte alles heraus, diese Kraft nach aussen zu betätigen, da sie im Innern als überschüssig empfunden wurde. Das Jahr 1898, in dem mit den Siegen von Cavite und Manila der vom Zaune gebrochene ausgesprochene Kolonialkrieg mit Spanien erfolgreich verlief, wurde in der öffentlichen Meinung als „Pivotjahr“ empfunden. So sehr man die Monroedoktrin, – Amerika den Amerikanern, – auf wirtschaftlichem Gebiete festhielt und bis heute festgehalten hat, so sehr hat man sie politisch aufgegeben. Seit 1898 betrachten es die Vereinigten Staaten als ihre Schicksalsaufgabe, ihr „manifest destiny“, eine selbständige erobernde Welt- und Kolonial- und Wirtschaftspolitik zu treiben. Sie bewegt sich gewissermassen in konzentrischen Kreisen.

Der erste ist das alte Kampfgebiet der Kolonialmächte, Westindien, in dem durch die Eroberung von Cuba und Portorico die Union festen Fuss gefasst hat und in dem sie nun die traditionelle Herrschaftsstellung Englands dort bedroht. In Verbindung damit haben die Pläne einer interozeanischen Verbindung immer grössere Bedeutung gewonnen. Es ist das entscheidend Neue in dieser Frage, dass es der Union 1902 gelang, die Fesseln des Vertrages von 1850 abzuschütteln; der Kanal, für den die Panamaroute nun endgültig gewählt wurde, wird nur von Amerika gebaut und wird eine von ihm ausschliesslich kontrollierte Wasserstrasse. Im Sommer 1914 soll er zum Teil in Betrieb genommen werden, 1915 wird er fertig sein und so ein gewaltiges Wahrzeichen der Erfolge der Union in der Weltpolitik sein. Seine Bedeutung für den internationalen Verkehr wird sich ja mit der des Suezkanals nicht messen können. Aber für die Vereinigten Staaten selbst ist er von unendlicher Bedeutung, weil er die Verbindung zwischen Osten und Westen ihres Staatsgebietes selbst ausserordentlich verkürzt und weil er die Weststaaten Südamerikas in eine ganz andere Nähe und ganz anders in den Bereich des nordamerikanischen Einflusses zieht als bisher.

Zunächst wurde durch die Erfolge des spanischen Krieges und in der Kanalfrage die Stellung der Union in den romanischen Republiken Mittelamerikas immer überragender. Es scheint nicht so, als wenn das Lebenswerk von Porfirio Diaz in Mexiko Dauer haben werde. Revolution und

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/371&oldid=- (Version vom 20.12.2021)