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in allen internationalen Angelegenheiten in einer bis ins Einzelne bestimmten Abhängigkeit von der englischen Regierung. – Das kanadische Flottengesetz wurde von dem neuen konservativen Ministerium Borden suspendiert, und 1913 wurde eine neue Vorlage eingebracht, welche sich dem Standpunkt der englischen Admiralität weit mehr annäherte. Aber da die Konservativen im Senat über keine Mehrheit verfügten, hat die Bill bisher keine Gesetzeskraft erlangt. Inzwischen hat Australien den ersten Teil seines Flottenprogramms durchgeführt; und neuerdings hat auch Neuseeland die Absicht bekundet, eine eigene Flotte zu bauen.

Die ganze Erörterung des imperialistischen Problems hat sich in der letzten Zeit auf die Wehrfragen und die auswärtige Politik des Reiches konzentriert. Man ist in England mehr und mehr geneigt geworden, den autonomen Kolonien einen grösseren Einfluss auf die auswärtige Reichspolitik zuzugestehen, und tatsächlich haben die Dominions bereits angefangen, die allgemeine Orientierung der englischen Politik zu beeinflussen. Das ist zunächst natürlich nur in ganz allgemeiner Weise möglich, aber es ist eine Tatsache, dass die neue Tendenz der englischen Politik, sich weniger als in dem letzten Jahrzehnt in den Fragen der europäischen Kontinentalpolitik zu interessieren, auch durch die Haltung der Dominions bestimmt worden ist. Der Einfluss, den England den Dominions bei der allgemeinen Orientierung seiner auswärtigen Politik gewährt, ist die Gegenleistung für die maritime Unterstützung, die es von ihnen erwartet; die maritime Unterstützung der Kolonien soll England den Ersatz für ein kontinentales Bündnis bieten. Was die künftige Gestaltung der Reichsverfassung betrifft, so erwartet man alles von einer organischen Entwicklung, indem die einzelnen, ad hoc vereinbarten Kooperationen zwischen Mutterland und Dominions massgebende Präzedenzfälle bilden würden, woraus eine Gewohnheit des Zusammenwirkens und schliesslich ein dauernder Verfassungszustand entstehen würde. Die Hoffnungen der Imperialisten knüpfen sich hauptsächlich an die seit 1903 bestehende Institution des Reichsverteidigungsausschusses (Imperial Defence Committee), der als eine rein beratende Behörde für Wehrfragen dem englischen Premierminister attachiert ist. Zu den Beratungen dieses Ausschusses sind wiederholt koloniale Minister geladen worden. Und besonders deutlich traten seine Wirksamkeit und die Möglichkeiten seiner Entwicklung vor Augen, als im Sommer 1912 der kanadische Premierminister mit ein paar seiner Kollegen an den Beratungen teilnahmen, um die von ihnen geplante Flottenvorlage mit den englischen Ministern zu beraten, wobei auch die Lage der auswärtigen Politik erörtert wurde. In jedem Falle ist eine Trennung der Kolonien in absehbarer Zeit schon aus dem Grunde nicht zu erwarten, weil sie in der Ära der modernen Weltpolitik ihre frühere Isolierung verloren haben und mit ihren gegenwärtigen Machtmitteln ihre selbständige politische und nationale Existenz nicht behaupten könnten.





100. Abschnitt.


Das zeitgenössische Frankreich.
Von
Dr. Adalbert Wahl,
o. Professor der Geschichte an der Universität Tübingen.


Anmerkung WS: Text ist nicht gemeinfrei, Adalbert Wahl starb 1957.


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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/334&oldid=- (Version vom 13.12.2021)