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öffentlicher und privater Kräfte schon wegen der verschiedensten Richtungen, die vorhanden sind und in den Behörden nicht zum genügenden Ausdruck kommen können zu wünschen sein. Vielmehr aber wird die freie Hilfsarbeit hier deshalb in grossem Umfange erwünscht sein, weil die Vielgestaltigkeit der Arbeit, ihre enge Verknüpfung mit den verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erscheinungen wie ihr rascher Wechsel und die Notwendigkeit, sie den oft rasch wechselnden Bedürfnisse anzupassen, freie und bewegliche Einrichtungen befördern, wie sie die Behörden aller Art nicht in jedem Fall und in ausreichendem Masse schaffen können. Ähnlich liegen die Dinge bei der Verwertung unwirtschaftlicher Kräfte, wo eine freie Beweglichkeit durch die Verwickeltheit der Aufgaben, eine starke Sicherung der Einrichtungen mit öffentlichen Mitteln durch die Grösse mancher Aufgaben gefordert werden. Im besonderen wird es sich bei der Ausgestaltung öffentlicher Betriebe fragen, ob die privatwirtschaftliche Rentabilität, die zur Intensifizierung des Betriebes und zur Ausstossung minderwertiger Arbeitskräfte führt, in jedem Falle massgebend sein darf. Manchmal wird der volkswirtschaftliche Vorteil, der durch die Verwertung dieser minderen Kräfte erreicht wird, den privatwirtschaftlichen Nachteil überwiegen; jedenfalls erfordert dieser Punkt vielmehr Beachtung als ihm meistens bisher geschenkt wird, wobei die Schwierigkeiten solcher Organisationen, die von einem gewöhnlichen privaten Betriebe oft stark abweichen müssen, nicht gering geschätzt werden sollen.

Der Gegensatz öffentlicher und privater Fürsorge deckt sich keineswegs wie ältere Erörterungen annehmen, heute noch mit dem Gegensatz freiwilliger und besoldeter Arbeit. Die öffentliche Fürsorge bedient sich der Mitwirkung freiwilliger Kräfte wohl so ziemlich auf den meisten Gebieten, während die private Fürsorge nur bei kleinen Einrichtungen mit freiwilliger Arbeit ausreicht; sobald ihr Arbeitsfeld irgend eine beträchtliche Grösse annimmt, muss sie mit besoldeten Kräften rechnen. Bei beiden kann man freiwillig und besoldet nicht mehr als Gegensatz anwenden; sie bedürfen beider Arbeitsformen nebeneinander. Das Problem ist heute nur die Art, wie man beide am besten verbinden kann. Für beide Formen gilt gleichmässig die Forderung der Schulung und Ausbildung zur Fürsorgearbeit. Schon der knappe Überblick über das Hauptarbeitsfeld der Fürsorge zeigt wie eng sie mit den verschiedensten und verwickeltsten Aufgaben des Wirtschaftslebens und Staatsleben verknüpft ist. Die kleinste Tätigkeit, die Versorgung eines armen Kindes z. B. führt sofort in eine Fülle wirtschaftlicher und rechtlicher Probleme hinein, bringt mit so viel Verwaltungsfragen in Beziehung, dass zu ihrer gründlichen Durchführung oft nicht geringe Kenntnis und Erfahrung notwendig ist. Auch wo die freiwilligen Helfer überwiegen, müssen sie eine ausreichende Schulung erhalten, um diese Aufgaben mit Verständnis anzupacken. Bei der Verwickeltheit des modernen Lebens genügt nicht der gesunde Menschenverstand, der gute Wille und das warme Herz allein; sie müssen vom klaren Verstand, von der sorgsam geschulten Erfahrung unterstützt werden. Berufliche Arbeit, sei sie besoldet oder ehrenamtlich wird überall gefordert; die Heranbringung ausreichenden Nachwuchses von Beamten wie die Schulung der freien Mitarbeiter bilden eines der bedeutendsten Probleme, das die öffentliche wie die private Fürsorge heutzutage zu lösen haben.

Eine Hauptaufgabe gerade der freien Tätigkeit ist es, dass sie als Betätigung innerster Hilfsbereitschaft für einander eine Gesinnung des Zusammenwirkens der gegenseitigen Unterstützung lebendig erhält und stärkt, auf der alle höhere Kultur, schliesslich auch alle wirtschaftlichen Fortschritte beruhen. Damit schafft sie unersetzliche Werte für das Leben eines Volkes, die aus den ursprünglichsten Gefühlen unmittelbaren Mitgefühls mit der Not erwachsen. Diese höchste Leistung muss die private Fürsorge vor allem in der Mittelbeschaffung, in ihrer Finanzpolitik Rechnung tragen. Wenn sie durch Mitteilung der Notstände, durch Darstellung der besten Hilfsformen Freunde und Gaben gewinnt, erfüllt sie zugleich eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Diese beste Art der Finanzierung sollte daher nicht durch wertlose Bazare und Feste, durch Ordens- und Titelhandel verdrängt werden, die eine solche höhere Wirkung in keiner Weise haben.

Je mehr wieder die Bedeutung der Fürsorge für das ganze Gesellschafts- und Wirtschaftsleben erkannt wird, um so mehr fragt sich, wie die freie Tätigkeit von unnützen und schädlichen Versuchen abgehalten werden könne. Vielfach wünscht man dazu eine staatliche Aufsicht über die Vereinsarbeit, wie sie in Nordamerika allerdings neben einer Art Aufsicht der freien Tätigkeit über die staatlichen Fürsorgeanstalten vorhanden ist. Man mag über ihre Form streiten; sicherlich kann

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/210&oldid=- (Version vom 4.12.2021)