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Dernburg). Man befürwortet, den praktischen Dienst dem Studium teilweise vorauszuschicken, oder beides nebeneinander hergehen, oder das Studium durch die Praxis unterbrechen zu lassen. Die Gründe sind immer dieselben; man will den Mangel der Anschauung beheben, den „Wirklichkeitshunger“ der Studierenden befriedigen, sie ins Rechtsleben in foro einführen und durch alles das ihr Interesse an der Sache, ihre Empfänglichkeit und ihr Verständnis für die theoretischen Vorträge steigern. Das soll nach den Einen dadurch geschehen, dass die Praxis unmittelbar nach Beendigung der Schulzeit beginnt und so den Zweck jener Einführung und des elementaren Unterrichts erfüllt[1]. Wie lange diese „Vorpraxis“ auszudehnen und ob zu ihr ein Dozent heranzuziehen, das sind untergeordnete Fragen. – Ausser ihr oder auch an ihrer statt wird eine praktische Ferienbeschäftigung der Studiernden (Nebenpraxis), der Besuch von Gerichtssitzungen unter sachkundiger Leitung und ähnliches mehr empfohlen. Eine das Studium unterbrechende Zwischenpraxis, an die sich – darüber differieren die Meinungen – nach vollendetem Universitätsunterricht die Schlusspraxis anreiht, scheint neuerdings manchen die Lösung des Problems. Zitelmann denkt sich das so: zuerst eine dreisemestrige dogmatisch-historische Einführung in die Rechtswissenschaft und zwar im 1. Semester in das Staats-Verwaltungs-Kirchen- und Völkerrecht, im 2. in das bürgerliche Recht, im 3. in das Strafrecht, in die Prozesse; darauf nach bestandenem Examen eine zweijährige Praxis, die nur subaltern sein könnte, allein ausreichen soll, um Anschauung zu schaffen und den Wissensdurst zu steigern; nun ohne weiteres Rückkehr für den Studienreifen und Studiengeneigten an die Universität zu vertieftem fünfsemestrigen Unterricht in all’ die bisher nur obiter getriebenen Disziplinen; endlich eine einjährige Praxis mit dem Abschluss des Assessorexamens und zwar jetzt schon unter Trennung der Justiz- und Regierungskandidaten. Man hat sich zu diesem Plan von praktischer und theoretischer Seite ablehnend gestellt. Und es lässt sich nicht verkennen, dass trotz manches Anmutenden die Bedenken überwiegen: vom Standpunkt des Praktikers der Einwand der Unbrauchbarkeit dieser nur dreisemestrig vorgeschulten Referendare – und man kann hinzufügen der folgeweisen Unfruchtbarkeit des zweijährigen Zwischendienstes – vom Standpunkt des Universitätslehrers die berechtigte Scheu vor dem „vertieften“ Wiederholen des schon einführungsweise Vorgetragenen und die Befürchtung, dass jetzt zwar nicht die ersten Semester, wohl aber die spätern würden verbummelt werden, zumal dieses Studium ohne Examen schliesst und man sich auf die Assessorprüfung später vorbereiten wird. – Nicht minder unbrauchbar sind die Vorschläge der Vor- und Nebenpraxis. Wie kann man die elementare begriffsmässige Schulung auf die Praxis abschieben wollen, während sie dazu schlechthin ungeeignet ist und der Unterricht in den Grundbegriffen die wichtigste und schwierigste Aufgabe des Dozenten bildet. Was aber die „Nebenpraxis“ leisten soll, lässt sich ausreichend im akademischen Unterricht erreichen.

IV. Die Reform.

Der akademische Unterricht vermag nicht in die Praxis einzuführen und der praktische nicht die wissenschaftliche Beherrschung des Stoffes zu vermitteln. Daher kann nicht der eine den andern ersetzen – bei keinerlei Wandelung und Erweiterung. Es wird also auch fernerhin der eine, wie der andere unentbehrlich sein. Auch wird das Universitätsstudium der praktischen Schulung vorausgehen müssen. Denn ohne Kenntniss der Rechtssätze und Begriffe bleibt die Anschauung ohne Frucht und die etwaige Verwendung in der Praxis auf das äusserliche Handwerk beschränkt. Aber Universitätsunterricht, wie Vorbereitungsdienst bedürfen der Reform.

1. Der akademische Unterricht muss in höherem Grade, wie bisher, zur Arbeit anleiten und zur verständnisvollen Aneignung des Gehörten fördern. Praktika und Exegetika


  1. Jetzt besonders Krückmann, Vorpraxis, akademische Rechtsprechung und anderes. Tübingen 1910. Dagegen Gerland a. a. O. S. 107 f.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/167&oldid=- (Version vom 21.11.2021)