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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Schädigung des Universitätsunterrichts, der durch den stetig wachsenden Zudrang zu den Universitäten nur immer spürbarer wird. Dass die Qualität der Studenten neuerdings sinkt, ist ohnedies eine mehrfach laut werdende Klage. Daher können die Universitäten in ihrem eigenen und im Interesse der Studenten nur wünschen und fordern, dass das Abiturientenexamen nicht immer leichter gemacht, sondern dass dabei vielmehr nach dem Grundsatz: Landgraf werde hart! verfahren werde. Die grössere Strenge ist hier die grössere Barmherzigkeit, auch für die davon Betroffenen. Und das Staatsinteresse fordert sie ohnedies.

Eben deshalb sollten auch nicht alle möglichen Berufe, die ganz wohl ohne Maturitätszeugnis und akademisches Studium auskommen können – Kaufmann[1] nennt Postbeamte, Apotheker, Zahnärzte, Landwirte und Volksschullehrer –, dasselbe aus Standes- und „Ressorteitelkeit“ für sich zur Bedingung machen oder anstreben. Dass darüber vielfach die beste Zeit für die praktische Vorbereitung und die rechte psychologische Disposition dazu verloren geht und die Universitäten gezwungen werden, immer mehr auch „Schüler ohne die nötige Vorbildung und ohne wissenschaftliche Absicht aufzunehmen“, in dieser Klage kann ich Kaufmann nur beistimmen, wenn auch unter den von ihm Genannten noch einmal zu unterscheiden sein wird. Und jedenfalls muss dabei aller akademische und lateinische Hochmut ausdrücklich ferngehalten, im Interesse des allgemeinen Bildungsstrebens müssen die Tore der Universitäten weit aufgemacht werden; und so ist es nur zu begrüssen, wenn für manche Vorlesungen der Kreis der Hörer über die rite immatrikulierten Studenten hinaus erweitert und es mit dem Recht des Hospitierens nicht allzu ängstlich und eng genommen wird; zu Sport und Modesache darf freilich der Kollegienbesuch nie werden. Im ganzen sind ja für diese Universitätsausdehnung auf weitere Kreise die volkstümlichen Hochschulkurse da, in denen die Professoren ihr Wissen und die Ergebnisse ihrer Forschung in den Dienst der allgemeinen Volksbildung stellen. Dagegen hat sich die Hoffnung, dass man hierfür besonders die Arbeiter gewinnen werde, wenigstens bei uns in Deutschland nicht oder nur an ganz wenigen Orten erfüllt. Hält man aber diese Kurse auf dem Niveau des bildungseifrigen Volksschullehrers, so wird durch seine Vermittlung in Schule und Fortbildungsschule jener Zweck indirekt doch erreicht und die soziale Tendenz solcher Kurse auch so noch verwirklicht. Besser ist es den Studenten gelungen, in den elementaren Unterrichtskursen für Arbeiter an diese selbst heranzukommen und durch die soziale Arbeit, die sie hier tun, an der Überbrückung der Kluft zwischen Akademikern und Arbeitern in verdienstlicher Weise mitzuhelfen. Den grössten Gewinn davon haben aber doch die Studenten selber durch das Eintauchen in den sozialen Geist unserer Zeit und das Abtun törichter Vorurteile, in denen gerade unsere lateinlernende Jugend vielfach aufwächst.

Neben den alten sind im Augenblick drei neue Universitäten im Werden begriffen (denn auch in Hamburg und Dresden sind die Pläne schwerlich definitiv aufgegeben und begraben). In Hamburg soll das vorhandene Kolonialinstitut und das längst schon reich entwickelte Vorlesungswesen der Stadt zu einer Volluniversität ausgebaut werden. Darin liegt der Keim für ein Neues, wenn in der Hauptstadt unseres deutschen Seeverkehrs und Seehandels eine Universität die Ausbildung für den Dienst in unseren Kolonien in den Mittelpunkt ihrer Aufgaben stellt und so eine Bildungsstätte wird, die den Bedürfnissen unserer neudeutschen Machtstellung angepasst ist und dem genius loci, dem in die Ferne gerichteten Blick seiner grossen Handelsfirmen und dem wagemutigen Unternehmungsgeist des Hanseaten entspricht. In Dresden denkt man, wie schon gesagt, an eine Art Personalunion von Universität und technischer Hochschule. Und in Frankfurt a. M. handelt es sich um eine Stiftungsuniversität, die den Staat nichts kosten, sondern finanziell aus eigener Kraft heraus sich erhalten soll. Aber da sie die staatliche Anerkennung mit allen dazu gehörigen Berechtigungen einer Staatsuniversität anstrebt und als Universität anstreben muss, so braucht sie den Staat doch, und so soll es keine Städteuniversität werden, wie einst Bologna eine solche gewesen ist, ledig aller bureaukratischen Bevormundung und ledig auch der letzten Schranke, die Kirche oder Staat der akademischen Freiheit ziehen möchten. Völlig belanglos sind natürlich die Bedenken, die gegen diese Neugründung wegen des grossstädtischen Milieus oder wegen einer etwaigen Schädigung der Nachbaruniversitäten vorgebracht werden. Bedenklich dagegen ist der


  1. Kaufmann a. a. O. S. 232 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/158&oldid=- (Version vom 21.11.2021)