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der Vorlesung freilich wirkt die Masse anregend und anfeuernd auf den Dozenten. Wenn aber in einem Seminar 100 und mehr bloss noch zuhören, statt selber mitzutun, in der Klinik, am Krankenbett oder am Operationstisch 200 und mehr kaum mehr sehen, was geschieht, in Laboratorien Leute Semester lang keinen Platz mehr finden können, so kommt auf den Einzelnen zu wenig Teilnahme und Mitarbeit, der Professor lernt ihn nicht kennen und kann auf ihn, auf seine Bedürfnisse und Fragen nicht eingehen; und so geht gerade das, was wir als den Hauptwort dieser seminaristischen und praktischen Kurse ansehen und rühmen, zum grossen Teil wieder verloren. Die Qualität des akademischen Unterrichts leidet unter der Überfüllung der Universitäten. Ein Mittel gebe es freilich, um diesem Übel entgegenzuwirken und abzuhelfen, – Neugründung von Universitäten, Vermehrung der Stellen, Verteilung der Hörer und Teilnehmer an den Übungen und praktischen Kursen, unter Einführung eines numerus clausus für den einzelnen Dozenten, an eine grössere Anzahl von Lehrern. Aber einmal kostet das alles sehr viel Geld und stösst daher bei dem Staat und seinen Finanzen auf Schwierigkeiten; und auf der andern Seite lässt sich auch der Student nicht so ohne weiteres von einem, vielleicht besonders beliebten Professor weg an einen weniger beliebten und belobten abschieben. Und auch die Dozenten werden sich gegen solches Wegnehmen sträuben. Eine Beschränkung der Zahl der Ausländer oder gar deren Ausschluss von unseren deutschen Hochschulen wäre hiergegen auch nur ein Tropfen auf einen heissen Stein, und überdies eine Einbusse an nationalem Ansehen nach aussen und das Aufgeben eines Mittels zum sich Kennenlernen und Verstehen der Völker hin und her. Nur bevorzugt vor den Innländern dürfen die Fremden natürlich nicht werden, und schlechte Sitten aus ihrer Heimat an unsere Hochschulen zu verpflanzen, haben sie ebensowenig ein Recht.

Von besonderer Wichtigkeit ist dann weiter die Frage der Autonomie und des Korporationscharakters unserer Universitäten. In der Erteilung oder Versagung der venia legendi sind die Fakultäten souverän, sollen es jedenfalls sein. Missbräuche, die sich dabei wohl auch einstellen können, sind nicht eben häufig, Beschränkungen aber immer gehässig und verbitternd; die lex Arons in Preussen war kein glücklicher Griff. Bei der Besetzung von Professuren – ordentlichen und ausserordentlichen – haben die Fakultäten wenigstens ein Vorschlagsrecht, das die Regierung zwar nicht respektieren muss, aber tatsächlich doch in der Regel respektiert. Ich habe in langjähriger Praxis gefunden, dass dieses Recht von den Fakultäten im allgemeinen sehr gewissenhaft und sachlich ausgeübt wird. Gleichwohl lässt sich die Möglichkeit von Missgriffen und emotionellen Vorschlägen zu gunsten einer bestimmten Richtung oder Partei oder zur Fernhaltung eines unbequemen Konkurrenten nicht bestreiten; solche Fälle kommen vor, weil auch die Fakultätsmitglieder nur Menschen sind. Darum ist es gut, dass die Entscheidung über die Vorschläge der Regierung vorbehalten ist und dass sich diese nicht an die drei oder vier auf der Liste genannten zu halten hat. Aber ebenso gut ist, dass sie dies in der Regel doch tut, da die Fakultät die Bedürfnisse der eigenen Universität und die Qualifikation der für die Stelle in Betracht Kommenden doch wohl am besten kennt. Die in Bayern neuerdings geforderte Äusserung über nicht vorgeschlagene Landeskinder ist eine schwere Schädigung der so Zurückgewiesenen, denen dadurch ausdrücklich ein Makel angehängt würde. So ergänzt sich also die Korporation in gewissem Sinn selber. Aber wer gehört zur Korporation[WS 1]? Kaufmann[1] sagt: Korporationen mit Selbstverwaltung müssen aristokratisch sein. Gewiss. Aber wer gehört zu dieser Aristokratie? Im Mittelalter alle, Dozenten und Studenten; sie zusammen wählten sich ihr Oberhaupt, den Rektor. Allmählich verengte sich der Kreis, vielfach bis auf die kleine Zahl der Ordinarien. Demgegenüber machen sich neuerdings unter den ausgeschlossenen Extraordinarien und Privatdozenten Bestrebungen geltend, die auch sie an der Selbstverwaltung teil gewinnen lassen wollen. Dafür können sie sich auf die Geschichte einerseits und andererseits auf ihre Mitarbeit berufen und darauf, dass die Universitäten vielfach auf diese angewiesen seien; und je grösser sie sind, desto mehr. Allein Wert und Glück unserer Privatdozentums liegt eben darin, dass die Privatdozenten keine Beamtenanwärter sind, sondern, ganz freie Lehrer und Forscher, die ausser der venia legendi keine anderen Rechte, aber darum auch keine Pflichten und keinerlei Abhängigkeit haben ausser der Wissenschaft und den Hörern gegenüber, die sie durch ihre eigene Persönlichkeit um sich zu versammeln wissen. Ihnen diesen


  1. Kaufmann a. a. O. S. 245.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Korperation
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/153&oldid=- (Version vom 13.1.2022)