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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

hinaus einen gemeinsamen Typus der deutschen Universitäten, der bei aller Verschiedenheit und individuellen Gestaltung der einzelnen doch im grossen Ganzen hinfort ein allgemeiner deutsch nationaler war.

Dazu kam, dass nach den Befreiungskriegen, an denen Professoren und Studenten mit Wort und Tat ruhmvollen Anteil genommen haben, gerade sie die entschiedensten Vorkämpfer des deutschen Einheits- und Freiheitsgedankens und damit die Pfleger und Träger des nationalen Bewusstseins in Deutschland wurden, was 1848 im Frankfurter Parlament, das ein rechtes Professorenparlament gewesen ist, noch einmal kräftig in die Erscheinung getreten ist. Dass das Volk hinter seinen Professoren stand, dieses schöne Vertrauen hatten sich diese erworben durch die tapfere Tat der Göttinger Sieben, die gegen die Aufhebung der hannoverischen Verfassung protestierten und sich lieber absetzen als zum Huldigungsrevers zwingen liessen, weil sie mit Eiden kein leichtfertiges Spiel getrieben wissen wollten.

Im neuen Reich haben die Universitäten und ihre Professoren aufgehört, die politischen Führer zu sein. Doch zeigt die Überschrift über dem Kollegiengebäude der 1872 neu wiederaufgerichteten Universität zu Strassburg: literis et patriae, dass der enge Zusammenhang zwischen Universität und nationalen Gedanken und Aufgaben nach wie vor besteht und nicht zum wenigsten auch von dem grossen Realisten Bismarck in seiner Bedeutung und werbenden Kraft anerkannt worden ist.

Am Ende des 19. Jahrhunderts kam noch einmal etwas Neues, ein frischer Zweig am alten Stamm der deutschen Universitäten. Bei der Hundertjahrfeier der Charlottenburger Technischen Hochschule im Jahr 1899 wurde dieser und mit ihr sämtlichen technischen Hochschulen Preussens das Promotionsrecht zum Doktor-Ingenieur verliehen und damit die Gleichberechtigung dieser modernen Anstalten mit den älteren Universitäten öffentlich ausgesprochen; auch hier folgten die übrigen deutschen Staaten dem Vorgehen Preussens alsbald nach. Manche sahen darin freilich so etwas wie eine Minderung des Ansehens der Universitäten: gewiss nicht mit Recht. Es war nur ein Zeichen unserer realistisch und immer mehr auch technisch gewordenen Zeit und eine Anerkennung der Wichtigkeit und des Wertes der Technik für unsere Kultur. Die Gründung besonderer Lehranstalten für sie war nicht viel älter als 100 Jahre. Paris hat mit der école polytechnique am Ende des 18. Jahrhunderts auch hier wieder den Anfang gemacht und das Muster gegeben. Auf die Höhe einer Hochschule aber wurde zuerst das eidgenössische Polytechnikum in Zürich um die Mitte des 19. Jahrhunderts gehoben, dem sich dann die deutschen rasch anschlossen; und so war jene Verleihung des Universitätscharakters im Jahre 1899 nur das äussere Siegel auf die innere, rasche und stetige Entwicklung dieser Anstalten selbst. Hineinzuwachsen in den freien Geist der älteren Schwestern ist hinfort ihre Sache, und ist eine Aufgabe, die sich nicht so ohne weiteres von selbst versteht. Es ist freilich auch, namentlich neuestens bei den Universitätsplänen für Dresden, der Gedanke aufgetaucht und ventiliert worden, ob es nicht möglich und rätlich sei, beide hohe Schulen, Polytechnikum und Universität, zu einer einzigen Anstalt zu vereinigen, etwa durch Angliederung einer technischen an die naturwissenschaftliche Fakultät der alten Universitäten. In ganz kleinem Massstab ist das in Göttingen verwirklicht. Allein nicht nur die Praxis, auch die Theorie neigte sich doch dahin, beide wie bisher getrennt weiter marschieren und den gegenseitigen Wetteifer als Sporn zum rastlosen Vorwärtsstreben wirken zu lassen. Wenn sie von uns sich den Weg der Freiheit weisen lassen, so lernen unsere Studenten von ihnen vielleicht den geregelten Fleiss.

Die Frage nach dem Verhältnis der Theorie und der Praxis im Unterrichtsbetrieb unserer Universitäten lässt sich jedoch allgemein erst beantworten, wenn man sich über ihren Zweck klar geworden ist und verständigt hat. Unsere Universitätsprofessoren sind Forscher und Lehrer zugleich, der eine mehr dieses, der andere mehr jenes; wer nur eines von beiden wäre, wäre auf der Hochschule nicht an seinem richtigen Platz. Daraus ergibt sich auch eine Zweiheit der Zwecke: einerseits sollen die Universitäten als Forschungsinstitute die Wissenschaft fördern, andererseits die Jugend wissenschaftlich unterrichten. Wie sich die modernen Forschungsinstitute in ihrer Sonderstellung zu den Universitäten verhalten und weiter entwickeln, ob sie losgelöst von ihnen verkümmern oder ihnen umgekehrt Abbruch tun und sie auf die zweite Stufe herabdrücken werden, das sind Zukunftsfragen, die sich heute noch nicht übersehen und entscheiden lassen. In Leipzig

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/149&oldid=- (Version vom 21.11.2021)