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hinzustellen, dass Jeder nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Besteuerung heranzuziehen ist. Dem Prinzip der Allgemeinheit in der Besteuerung dürfte damit gleicherweise Rechnung getragen sein, da jeder Leistungsfähige heranzuziehen ist, ein gewisses Mindestmass von Leistungsfähigkeit aber immerhin ausser Betracht gelassen werden kann.

Die Leistungsfähigkeit ist mit allen den einzelnen Verschiedenheiten, die bezüglich ihrer nach den massgebenden Richtungen hin zur Erscheinung kommen, zu berücksichtigen, wobei namentlich nicht ausser acht zu lassen ist, dass mit den grösseren Mitteln die Leistungsfähigkeit nicht nur proportional sondern progressiv anwächst. Die Progressivbesteuerung gewinnt dadurch für die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung eine ganz besondere Bedeutung. Gerade in jenen Einzelmomenten, in welchen sich in der Hauptsache der Entwicklungsstand der Jetztzeit geltend macht, liegt, und zwar eben aus diesem Grunde, der springende Punkt; durch sie wird den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen der Zeit Rechnung getragen, was als eine Hauptbedingung für die Durchführung der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung anzusehen ist. Dadurch müssen die in Frage stehenden beiden obersten Steuerprinzipien noch weiter in den Vordergrund gerückt werden; sie stellen sieh als das für die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung hauptsächlich Massgebende dar.

10. Besondere Schwierigkeiten in der Verwirklichung.

Aus der vorgehenden Erörterung der Bedeutung, welche die obersten Steuerprinzipien für unsere Frage im Verhältnis zu einander haben, ergibt sich, dass bis zu einem gewissen Grade alle die einzelnen Prinzipien auf die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung von Einfluss sind. Die obersten Steuerprinzipien lassen sich jedoch bei den einzelnen Steuerarten keineswegs beliebig oder bis zu festliegenden Grenzen gleichmässig zur Anwendung bringen. Die Sonderheiten der einzelnen Steuerarten gestatten vielmehr eine Durchführung der obersten Steuerprinzipien, wie schon berührt, nur in einer sehr verschiedenen Weise oder nach einer stark unterschiedlichen Abstufung. Um so mehr ist es natürlich ausgeschlossen, bei den einzelnen Steuerarten der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung auf einer gleichmässigen und übereinstimmenden Grundlage Geltung zu verschaffen, da bei ihr sämtliche Prinzipien und noch dazu nach einer bestimmten abgestuften Bedeutung in Frage kommen. Die einzelnen sich hieraus ergebenden Verschiedenheiten bezüglich aller der zahlreichen Steuerarten näher zu verfolgen, muss ausgeschlossen erscheinen; auf einzelnes haben wir oben hingewiesen; wir können jetzt nur die Tatsache als solche hervorheben, die aber wohl kaum zu Zweifeln Anlass bieten dürfte.

Um zu einer absoluten Gerechtigkeit in der Steuerverteilung zu gelangen, müssten bei der Bildung des Steuersystems alle diese Verschiedenheiten der Steuerarten durch die entsprechende Zusammenfügung derselben vollkommen zum Ausgleich gebracht werden. Nach den tatsächlichen Verhältnissen wird es aber bei der ausserordentlichen Mannigfaltigkeit in den Abweichungen, die sich zugleich dem Grade nach wiederum in der grössten Verschiedenheit abstufen, als vollkommen ausgeschlossen anzusehen sein, überhaupt jemals ein solches Ziel zu erreichen. Wenn Adolph Wagner sagt, dass die Bildung eines rationellen, theoretisch richtigen, praktisch brauchbaren Steuersystems eine in jeder Hinsicht ausserordentlich schwierige und immer nur mehr oder weniger gut zu lösende Aufgabe sei, so muss dieses ebenmässig und wohl noch in einem erhöhten Masse von der Durchführung einer Gerechtigkeit in der Steuerverteilung gelten.

Eine absolute, in allen einzelnen Beziehungen durchschlagende Gerechtigkeit in der Steuerverteilung wird man selbst bei einem rein theoretischen Aufbau eines Steuersystems kaum je erreichen können, denn es dürfte als ausgeschlossen erscheinen, die einzelnen Steuerarten zu dem System gerade so zu vereinigen, dass die für die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung massgebenden obersten Steuerprinzipien in ihren bei diesen Steuerarten in verschiedener Weise und nach beiden Seiten hin zur Erscheinung kommenden Abweichungen sich behufs Erzielung der vollen Gerechtigkeit ganz genau und ohne ein Überschiessen nach der einen oder nach der anderen Seite hin ergänzen, dass sozusagen stets das Plus auf der einen Seite durch ein entsprechendes Minus auf der anderen und umgekehrt ausgeglichen wird. Ausserdem kommt in Betracht, dass die bei

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/97&oldid=- (Version vom 7.9.2021)