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der historisch überkommenen Verhältnisse. Dass man in die Lage kommen sollte, ein Steuersystem für eine einzelne Steuergewalt oder gar für sämtliche Steuergewalten eines Staatswesens unter Überbordwerfung der gesamten früheren Besteuerung von Grund aus neu zu bilden, dürfte ausgeschlossen erscheinen, obgleich eine derartige Steuersystembildung für die Durchführung einer gerechten Steuerverteilung weitaus das Einfachste und Günstigste sein würde. Gerade in der Besteuerung wird man grundsätzlich das Überkommene und von altersher Bestehende besonders zu achten haben, wenn man nicht weitgehende Schwierigkeiten und eventuell auch Missstände zeitigen will; es kommt hier der in einer entsprechenden Beschränkung immerhin als zutreffend anzuerkennende Satz, dass jede alte Steuer besser sei als eine neue, zur Geltung.

Alle Änderungen im Steuersystem, welche sich mit der Entwicklung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse behufs Beibehaltung bezw. Durchführung des Prinzips der gerechten Steuerverteilung vermöge der historischen Relativität des letzteren notwendig vollziehen müssen, werden sich regelmässig auf der bisherigen Besteuerung, diese tunlichst aber jedenfalls bis zu einem gewissen Grade schonend, aufzubauen haben. Dass hierdurch bei dem Mangel der Einheitlichkeit und der Unmöglichkeit, das historisch zu Übernehmende den Verhältnissen der Gegenwart in allen Einzelheiten und mit der gleichen Vollkommenheit wie eine Neubildung auzupassen, grössere Schwierigkeiten für die Durchführung unseres Prinzips erwachsen müssen, ja dass dieselbe dadurch nach einzelnen Richtungen hin sogar beeinträchtigt werden kann, braucht kaum näher nachgewiesen zu werden. Die Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen werden natürlich um so grösser, je verschiedener die Kulturepochen, welche die Umgestaltung des Steuersystems bedingen, sich voneinander abheben. Unter Umständen wird man sich damit helfen können, die Umgestaltung nach und nach in gewissen Zwischenräumen und dann insgesamt um so einschneidender zu vollziehen; dem steht allerdings wieder entgegen, dass grundsätzlich gesetzliche Eingriffe in die bestehende Besteuerung so wenig wie möglich vorgenommen werden sollen. Nach der ungünstigen Seite verschärfend muss endlich noch der Umstand einwirken, dass durch die vermöge der kulturellen Weiterentwicklung notwendigen Umgestaltungen der Besteuerung die Steuersysteme alle der einzelnen Steuergewalten des Staatswesens gleichzeitig teils schon an und für sich teils durch ihren gegenseitigen Zusammenhang unter einander berührt werden.

9. Verhältnis der obersten Steuerprinzipien zu einander.

Bislang sind die in der Hauptsache mehr äusserlichen Momente für die Bildung des Steuersystems unter dem Gesichtspunkte des gerechten Steuerverteilungsprinzips erörtert; dabei ist davon ausgegangen, dass das uns hier interessierende Prinzip der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung in den Steuersystemen der Steuergewalten, allein und zusammengefasst, und eventuell auch in den einzelnen Steuerarten durch eine möglichst weitgehende Beobachtung der obersten Steuergrundsätze, welche wir in den Anfang gestellt hatten, zum Durchbruch gebracht werden müsste. Die obersten Steuerprinzipien werden aber weder an und für sich noch für unsere besondere Frage unter sich als gleichwertige zu erachten sein, ebenmässig sind sie nicht derart, dass sie überall neben einander, wenn auch nur mehr oder weniger weitgehend, zur Anwendung kommen könnten; es treten vielmehr in ihnen oder wenigstens in einzelnen von ihnen immerhin gewisse innere Gegensätze zur Erscheinung, welche, wenngleich nur in Einzelbeziehungen, eine entgegengesetzte Stellung und ein gegenseitiges Ausschliessen bedingen. Wie hierdurch unsere Frage, die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung, näher berührt werden muss, wie mithin die einzelnen obersten Steuerprinzipien für diese Frage in besonderer Weise zu bewerten und eventuell gegeneinander in ihren Einzelbeziehungen abzuwägen sind, werden wir nunmehr darzulegen haben; wir müssen uns aber auch hier wieder auf die grossen Grundzüge beschränken ohne auf die vielfachen Einzelbeziehungen, welche für die verschiedenen Steuerarten in Betracht kommen können, näher einzugehen.

Die finanzpolitischen Prinzipien und die Steuerverwaltungsprinzipien wollen wir in eins zusammenfassen und vorwegstellen. Obwohl diese Prinzipien stets die notwendige Voraussetzung für eine gute Besteuerung und in letzterer auch für die

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/95&oldid=- (Version vom 7.9.2021)