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dass die Steuerobjekte, Erwerb, Besitz, Gebrauch, in einem sachgemässen, jener Gerechtigkeit entsprechenden Verhältnis zur Besteuerung herangezogen werden, so ist bei der Ausgestaltung der einzelnen Steuerarten vornehmlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, dass nach ihr und nach den oben berührten, der neueren sozialpolitischen Entwicklung entsprechenden Einzelmomenten die Steuer, soweit deren Eigenart es zulässt, abgemessen wird. Nach dem hierdurch erzielten Ergebnis wird sich dann wieder die Systembildung vermöge des stetigen gegenseitigen Ineinandergreifens zu richten haben.

7. Steuersystem der einzelnen Steuergewalten und Gesamtsteuersystem.

Ebenso wie die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung in den einzelnen Steuern sowohl wie in der Zusammenfassung derselben, dem Steuersystem, zum Ausdrucke kommen muss, ebenso ist sie nicht etwa nur in dem Steuersystem der einzelnen Finanzhoheit, welcher das Becht einer Steuererhebung gesetzmässig zusteht (Steuergewalt), sondern auch in der Gesamtheit dieser Steuersysteme, sozusagen einem Gesamtsteuersystem des staatlichen Gemeinwesens überhaupt zu verwirklichen. Die Steuergewalten sind daher in der Ausübung ihres Besteuerungsrechts nicht unbeschränkt; sie können sich nicht beliebig ein selbständiges Steuersystem mit in sich geschlossen durchgeführter Gerechtigkeit in der Steuerverteilung bilden, sondern sie sind vielmehr gezwungen, eine solche Bildung in unbedingter Rücksichtnahme auf die Ausübung des Besteuerungsrechts der anderen Steuergewalten vorzunehmen. Um die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung für das Deutsche Reich im ganzen zur Geltung zu bringen, ist ein bis zu einem gewissen Grade gemeinsames Vorgehen des Reichs, der Bundesstaaten, der grösseren mittleren Verbände und der Gemeinden hinsichtlich der Besteuerung notwendig, welches naturgemäss bei der loseren bezüglichen gesetzlichen Abgrenzung namentlich zwischen Reich und den übrigen Faktoren stets Schwierigkeiten bieten wird und leicht im einzelnen zu Verletzungen des gerechten Verteilungsprinzipes führen kann.

Eine äussere Abscheidung, die allerdings durch die neueste Steuergesetzgebung des Reichs mit ihrer Vermögensbesteuerung erheblicher durchbrochen wurde, ist hier insofern getroffen, als das Reich in erster Linie Konsumsteuern, gewisse Bereicherungssteuern, namentlich einen Teil der Verkehrssteuern und Erbschaftssteuer erhebt, während die übrigen Faktoren vorzugsweise Einkommens- und Vermögenssteuer, daneben aber auch Ertrags- und Verkehrssteuer ihrer Besteuerung zugrunde legen; zugleich sind den mittleren Verbänden und den Gemeinden stellenweise ganz oder doch zum vorragenderen Teil die Realsteuern zugewiesen. Durch die gegenseitige Beschränkung in der Besteuerungsmöglichkeit muss wesentlich auch unter der vorbezeichneten äusseren Abgrenzung die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung bei dem Steuersystem des einzelnen Faktors wie Reich, Bundesstaat pp. zum Teil mehr oder weniger zurücktreten, weil ja die einzelnen Steuerarten, auf welche jede Steuergewalt für ihre Besteuerung angewiesen ist, vielfach nach ihrer unabänderlichen Eigenart nur eine beschränktere Durchführung jener oben bezeichneten obersten Steuerprinzipien, auf welchen die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung beruht, gestatten. Dieses Zurücktreten in dem einen Steuersystem wird aber in der Hauptsache wieder ausgeglichen werden bei einem anderen Steuersystem, welches vorwiegender Steuerarten mit der entgegengesetzten Tendenz enthält, bezw. nach Lage der Sache enthalten muss. Dadurch wird in der Zusammenfassung der einzelnen Steuersysteme für das darin zum Ausdruck gelangende Gesamtsteuersystem des Deutschen Reichs die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung wiederum erreicht.

8. Einfluss des historischen Entwicklungsgangs.

Wir haben im Vorstehenden stets schlechthin von Bildung von Steuersystemen und Ausgestaltung einzelner Steuerarten behufs Durchführung des Prinzips einer gerechten Steuerverteilung gesprochen. In Wirklichkeit kann sich diese Bildung und Ausgestaltung keineswegs so einfach und ohne weiteres vollziehen. Niemals wird es sich nämlich um eine vollständige Neubildung eines Steuersystems sozusagen von reinem Tisch aus handeln, sondern stets nur um eine Aus- oder Umbildung in engeren oder weiteren Grenzen auf Grund und unter wesentlicher Berücksichtigung

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/94&oldid=- (Version vom 7.9.2021)