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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

I. Die deutsche Volkspartei ist eine Partei des politischen Fortschritts; sie bekennt sich zu den demokratischen Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit und verlangt die gleichartige Mitwirkung aller Staatsbürger, bei Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung, die Durchführung der Selbstregierung des Volks im Staate.
II. Die Volkspartei ist eine Partei der nationalen Gemeinschaft und der bundesstaatlichen Selbstverwaltung. Sie tritt ein für die unverbrüchliche Einheit des deutschen Vaterlandes, wie für die Erhaltung der Selbstständigkeit und die Gleichberechtigung aller deutschen Volksstämme.
III. Die Volkspartei ist eine Partei der sozialen und wirtschaftlichen Reformen. Sie erkennt an, dass die staatlichen und gesellschaftlichen Fragen untrennbar sind, und dass die wirtschaftliche und soziale Hebung der arbeitenden Klassen und die Verwirklichung der politischen Freiheit sich gegenseitig bedingen. Sie erstrebt den friedlichen Ausgleich der sozialen Gegensätze in einer die Freiheit des Einzelnen verbürgenden Gesellschaftsordnung.
IV. Die Volkspartei ist eine Partei des Friedens. Sie erkennt im Krieg und im Militarismus die schwerste Schädigung des Volkswohlstandes, wie der Kultur- und Freiheitsinteressen. Sie erstrebt einen Friedens- und Freiheitsbund der Völker.

Im Reichstag hatte die Politik Bismarcks, welche dazu bestimmt war, den demokratischen Liberalismus in die Opposition zu treiben, die Deutsche Volkspartei an die Seite der Fortschrittspartei und Eugen Richters geführt. Auch in der Zeit nach 1895 ergab sich ein tatsächliches Zusammenarbeiten der Deutschen Volkspartei vor allem Anfang des Jahrhunderts bei dem Kampf gegen den hochschutzzöllnerischen Zolltarif mit der Freisinnigen Volkspartei und mit der Freisinnigen Vereinigung, die aber alle in getrennten Fraktionssitzungen arbeiteten. Ausserhalb des Parlaments vollzog sich dann eine Verschmelzung zwischen der „Freisinnigen Vereinigung“ und der vierten linksliberalen Richtung, der „nationalsozialen Partei“, die von der starken Persönlichkeit Friedrich Naumanns geführt und belebt war. In der Folge aber trat Theodor Barth, der dem Reichstag nicht mehr angehörte, aus der Freisinnigen Vereinigung aus kurz vor seinem Tode 1908, der zwei Jahre nach dem Tode Eugen Richters eintrat.

In den folgenden Jahren war im Parlament allmählich die Zeit einer Vorherrschaft des Zentrums dadurch eingetreten, dass dieses auf der Mittellinie zwischen der nationalliberalen und konservativen Politik gesetzgeberisch tätig wurde, sie stellte für die so gerichtete Politik eine Mehrheit her und machte sich der Regierung des Kanzlers Hohenlohe und nachher Bülow nützlich, nicht ohne ihre Unentbehrlichkeit durch zeitweiliges Abrücken nach links fühlbar zu machen. Unter dieser Konstellation und unter dem Vorrücken des schutzzöllnerischen Agrariertums, das sich in dem „Bund der Landwirte“ eine scheinbar politisch neutrale Organisation geschaffen hatte und auf die Erhöhung der Lebensmittelzölle drängte, wuchs die Sozialdemokratie immer stärker heran, welche schliesslich 1903 eine Zahl von Mandaten erlangte, die es dem Zentrum als der ziffermässig stärksten Fraktion des Reichstags ermöglichte, auch mit der Sozialdemokratie allein eine Mehrheit zu bilden. Als das Zentrum im Dezember 1906 bei der materiell untergeordneten Frage einer letztmaligen Ausgabe für die Aufstandstruppen in Südwestafrika von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte und die Regierung, mit der in dieser Frage die drei übrigen Parteien, Rechte, Nationalliberale und Linksliberale gestimmt hatten, in die Minderheit versetzt war, löste Fürst Bülow den Reichstag auf. Er schuf damit, zunächst nur für die Wahlen, die über die abgelehnte Forderung entscheiden sollten, eine neue Parteikonstellation. Sie erhielt in den Wahlen tatsächlich die Mehrheit. Nachdem jene Forderung bewilligt war, versuchte Reichskanzler Bülow die halb zufällig entstandene Parteigruppierung der neuen Mehrheitsparteien entsprechend seiner Wahlparole zur Grundlage einer konservativ-liberalen Regierungspolitik zu machen. Die drei Linksliberalen Parteien, die fünfzig Mandate erlangt hatten, schlossen sich in dieser neuen Situation parlamentarisch zu einer Fraktions-Gemeinschaft zusammen und erklärten, jenen Versuch, welcher der Wählerkonstellation entsprach, so lange nicht hindern zu wollen, als die Regierungspolitik dem Liberalismus Vorteile tatsächlich bieten werde. Der Versuch der Blockpolitik des Fürsten Bülow glückte im ersten Jahr bei dem liberalen Reichsvereinsgesetz, das vom Zentrum und von der Sozialdemokratie bekämpft wurde und auch noch im zweiten bei dem konstitutionellen Vorstoss der Novemberdebatte, scheiterte aber im dritten Versuchsjahr an der Reichsfinanzreform, aus welcher Konservative und Zentrum die Reichserbschaftssteuer ausmerzten. Der Nebenzweck ihrer Politik war, den Fürsten Bülow zum Rücktritt zu zwingen. Der „Blau-schwarze Block“,

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/56&oldid=- (Version vom 4.9.2021)