Seite:Handbuch der Politik Band 2.pdf/439

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

und Kleingewerbe, wenn sonst die Bedingungen lebensfähiger Forschung für sie erfüllt sind, zu erfolgreicher Selbstbehauptung befähigt angesichts der höheren Anforderungen, welche die Gegenwart an die Geschäftstüchtigkeit stellt. Eine weitere Stütze bietet ein entwickeltes Genossenschaftswesen. Doch besitzen hier nur die Kreditgenossenschaften grössere und allgemeine Bedeutung, während den übrigen Genossenschaftsarten auf dem gewerblichen Gebiete im Unterschied vom landwirtschaftlichen, aus Ursachen, welche in der Natur der gewerblichen Produktion liegen, nur eine ganz beschränkte und nebensächliche Bedeutung zukommt, was durch die geringen äusseren Erfolge belegt wird.

Dem Zuge der gesamten gewerblichen Entwicklung entsprechend zeigen die meisten Handwerksbetriebe eine Tendenz zur Vergrösserung, indem die Zahl der Alleinbetriebe abnimmt, die Zahl der Gehilfenbetriebe, wie ihr Einzelumfang, wächst. Wie das ein Beweis innerer Kräftigung ist, so ist es zugleich ein Zeichen dafür, dass die Entwicklung sich von dem überlieferten mittelständischen Ideal langsam entfernt, wonach den Hilfskräften die spätere Selbständigkeit allgemein erreichbar sein soll.

Das dritte Hauptglied des alten Mittelstandes bilden die Kreise der mittleren und kleinen Kaufleute und Händler im Kleinhandel, der den unmittelbaren Absatz an den Verbraucher betreibt, wie im Grosshandel, der zwischen Produktion und Kleinhandel sich als Zwischenglied einschiebt.

Das oben charakterisierte Wesen der modernen Wirtschaftsentwicklung bringt es mit sich, dass der Handel eine früher nicht geahnte Ausbreitung erlangte. Beschäftigt er auch absolut weniger Personen als Landwirtschaft und Industrie, so überflügelte doch sein Wachstum bei weitem selbst die rapide Zunahme der industriellen Bevölkerung bei uns. Dabei darf man annehmen dass 9/10 der am Handel beteiligten Personen auf den Detailhandel entfallen. 1882–1907 wuchs in Deutschland die Zahl aller Handelsbetriebe von 617 000 auf 1 088 000, die der Hauptbetriebe allein von 453 000 auf 842 000. Die Betriebspersonen vermehrten sich von 838 000 auf 2 064 000, also um das 1½fache, während die Gesamtbevölkerung nur um etwa mehr als ⅓ zunahm. der Betriebe entfällt während der ganzen Periode auf die Allein-und Kleinbetriebe (1–5 Personen). Trotz stärkeren Wachstums der Mittel- und Grossbetriebe (6–50 und über 50 Personen) waren 1907 in jenen doch noch doppelt so viel Personen beschäftigt, als in diesen. Danach behauptet der Handel vorwiegend mittelständischen Charakter.

Immerhin bekundete sich auch im Handel, wie in Industrie und Gewerbe, mit seiner wachsenden Ausbreitung zugleich die Tendenz zur Erweiterung und Konzentration der Einzelbetriebe, weil auch hier der grössere Betrieb in der Regel billiger arbeitet und leistungsfähiger ist als der kleinere. Hand in Hand mit der Betriebserweiterung ging vielfach eine zunehmende Spezialisierung und die Ausschaltung von Zwischengliedern zwischen Produzenten und Detailverkäufern. Diese Ausschaltung nutzten vor allem die aufkommenden Basare und Grossmagazine aus, welche gangbare, leicht und sicher verkäufliche Artikel verschiedener Gattung in grossen Partien direkt von den Produzenten beziehen und zu mässigen Preisen ausbieten. Die geführten Qualitäten richten sich dabei nach den Bedürfnissen und der Zahlungsfähigkeit des Kundenkreises, auf den sie rechnen. Den Basaren reihen sich weiter die Warenhäuser an, welche zugleich durch die grosse Mannigfaltigkeit der geführten Waren charakterisiert sind, ihren Schwerpunkt aber meist in der Manufaktur- und Bekleidungsbranche sowie in der Konfektion haben.

Aber so mannigfaltig diese Betriebsgattungen sein und so sehr ihre Grenzlinien verschwimmen mögen, gemeinsam ist ihnen allen zumeist, dass sie Grossbetriebe sind. Mit ihrer rationellen und dadurch überlegenen Betriebsökonomie verbinden sie andere Vorteile, besonders denjenigen des schnellen Kapitalumsatzes, welcher ermöglicht, sich mit geringeren Einzelwaren zu begnügen. Denn sie alle befolgen mit Strenge den Grundsatz der Barzahlung, der überdies die kostspielige Führung von Kunden-Konti und Einziehung von Kundenschulden vollkommen ausschliesst. Die durch den Geschäftsumfang bedingte. Rationalität der Betriebsorganisation wirkt analog wie in der Industrie Maschine und Arbeitsteilung.

Wie durch diese kapitalistischen Grossbetriebe, wurde andererseits durch die Ausbreitung der auf nichtkapitalistischer Grundlage erwachsenden Konsumvereine der weiteren Ausbreitung des

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/439&oldid=- (Version vom 1.11.2021)