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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

ein Zusammenarbeiten mit solchen Katholiken und Protestanten allerdings für ausgeschlossen hielte, welche nicht gewillt waren, die Freiheit und Selbständigkeit der Religionsgesellschaften und damit auch der katholischen Kirche anzuerkennen und hochzuhalten. Selbstverständlich sollte damit aber nicht gesagt sein, dass man eine willkürliche und verschwommene religiöse Synthese von Katholizismus und Protestantismus anstrebe. Vielmehr sollte jeder sich die Integrität seiner religiösen Überzeugung voll reservieren, und nur das durchgeführt werden, dass Angehörige beider Konfessionen politisch zusammenarbeiteten, um die Freiheit der Religionsübung und die verfassungsmässige Rechtsstellung wie der katholischen Kirche so der evangelischen Landeskirchen zu verteidigen. Die „christliche Weltanschauung“ in diesem Sinne war lediglich eine politische Formel, welche, ohne jeden theologischen Inhalt, das Zusammenarbeiten von Katholiken und Protestanten auf politischem Gebiet im Sinne des politischen Zentrumsgedankens ermöglichen sollte.

Nach diesen allgemein orientierenden Bemerkungen über die Natur des Zentrums sei zunächst die Entstehungsgeschichte der Zentrumsbewegung nachgeholt und kurz ihr bisheriger Verlauf dargestellt.

Der Ursprung der Gedankenreihen, welche zur Gründung des Zentrums führten, liegt erheblich weiter zurück wie die Gründung dieser Partei, sowohl was die kirchenpolitische, als was die staatspolitische Seite anlangt.

Der kirchenpolitische Gedanke entstand zuerst. Er musste entstehen, sobald auf deutschem Boden Volksvertretungen errichtet wurden und innerhalb dieser, wenn nicht schon politische Parteien, so doch politische Parteirichtungen sich bildeten. Es lag in der Natur der politischen Entwicklung in Deutschland, dass dieser Gedanke sich zunächst in einer spezifisch katholischen Ausprägung zeigte. Nach der Zeit des harten Staatskirchentums in der Periode des Josephinismus, welche die katholische Kirche nach ihrer Idee und Geschichte besonders schmerzlich getroffen hatte, war es gegeben, dass gläubige und kirchentreue Katholiken, sobald sie in die Parlamente gelangten, sich der öffentlichen Rechtsstellung ihrer Kirche annahmen und für deren Freiheit eintraten, wo immer sie diese beeinträchtigt fanden. So sehen wir im ersten bayerischen Landtag von 1819, als die Ausführung des eben abgeschlossenen Konkordates mit dem römischen Stuhle in Frage stand, für dieses sofort eifrige Vertreter erstehen. Es seien die Abgg. Egger, Abt, Zimmer, Magold und Zenger genannt, sämtlich Geistliche. Von da an haben in der bayerischen Volksvertretung niemals Vertreter der kirchlichen Rechte gefehlt. Doch kam es nicht zu einer Parteibildung. Erst 1869 entstand die „Partei der Patrioten“, welche, im wesentlichen politischen Charakters, auch für die Rechte der katholischen Kirche eintrat. Im ersten hessischen Landtag von 1820 waren es Laien, die Mainzer Kaufleute Kertell und Lauteren und der Gutsbesitzer Bürgermeister Neeb, welche in derselben Richtung vorgingen. In Baden trat 1827 der Freiburger Professor Dr. Buss in die Zweite Kammer, 1838 Freiherr von Andlaw in die Erste Kammer; beide verteidigten die Sache ihrer Kirche mit ebensoviel Eifer wie Ausdauer. Auch hier kam es erst 1869 zu einer Parteibildung, nämlich zur Gründung der „Katholischen Volkspartei“, welche bei der Neuwahl dieses Jahres mit vier Mitgliedern in die Zweite Kammer einzog.

Einen Markstein in dieser Entwicklung bedeutet das Jahr 1848. Es brachte die erste förmliche Organisation katholischer Parlamentarier. Der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M. gehörte eine grosse Anzahl kirchentreuer angesehener Katholiken an. Diese traten, als es dort zum Entwurf von „Grundrechten“ kam, auf Einladung des Breslauer Fürstbischofs Melchior von Diepenbrock am 14. Juni als „Katholischer Klub“ zusammen, um, nachdem die staatliche Freiheit ihre Vertreter gefunden hatte, auch für die kirchliche Freiheit einzustehen. Dieser Klub war ein „ausserparlamentarischer Verein“, welcher sich auf die Behandlung der religiösen und kirchlichen Dinge einschliesslich der Schulangelegenheiten beschränkte und alle Staatspolitiken Fragen streng ausschloss. Die Mitglieder waren und blieben zugleich Mitglieder der verschiedenen politischen Fraktionen. Vorsitzender war der preussische in Westfalen gewählte Abg. General v. Radowitz, dessen Stellvertreter der rheinische Abg. August Reichensperger. Dieser Klub war also eine rein katholisch-konfessionelle Bildung. Einen allgemeinen politischen Charakter gewann er nicht. Als Versuche gemacht wurden, ihn auch für politische Zwecke nutzbar zu machen, löste

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/36&oldid=- (Version vom 31.8.2021)