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und aufnahmefähige Klientel gewöhnt sich im gewöhnlichen Verlauf der Dinge von selbst daran, der Bank auch ihre übrigen finanziellen Geschäfte zuzuführen und diese Stammkundschaft wird nach und nach von selbst zum besten und sichersten Abnehmer der von der Bank emittierten Werte.

Mit der in dieser Weise wachsenden Emissions-Kraft steigen dann naturgemäss die Emissions-Erfolge, von denen jeder machterhöhend, also konzentrationsfördernd, wirkt. Denn jede Macht-Erhöhung muss schon aus psychologischen Gründen, die hier stark mitsprechen, den Umfang der Klientel und der Geschäfte und damit von neuem die Notwendigkeit und Schnelligkeit der Expansion und Konzentration vermehren.

Sobald aber die Bank bei heimischen (nationalen) Emissionen ihre Absatzfähigkeit erfolgreich nachgewiesen hat, wird sie auch bei internationalen Emissionen ein gesuchter Partner und gefürchteter Konkurrent, der den bei Massenemissionen erforderlichen Massenabsatz am raschesten und sichersten zu bewältigen verspricht.

Mit stärkerer Beteiligung an internationalen Emissionen ergibt sich alsdann wieder die Notwendigkeit weiterer Expansion im In- und Ausland, fernerer Erhöhung der Betriebskapitalien, ausgedehnterer Schaffung von Filialen, namentlich an den Zentralen des Uebersee-Verkehrs Hamburg, Bremen, London, New-York oder von besonderen Tochterbanken oder Kommanditen im Ausland u. a. m. Damit tritt aber wieder naturgemäss eine Steigerung im nationalen und internationalen Geschäftsverkehr der Bank ein, namentlich eine Erhöhung des Zahlungs-, Akzept-, Diskontierungs-, Devisen-, Giro- und Abrechnungs-Verkehrs, und so ist jeder Fortschritt sowohl Wirkung wie Ursache weiterer Entwicklung des Konzentrationsweges.

Umfang und Schnelligkeit der Konzentration wurde in Deutschland, abgesehen von schweren Fehlern der Stempel- und Börsen-Gesetzgebung, welche den Privatbankierstand schädigten, besonders durch folgende Vorgänge erhöht:

Zunächst gaben die grossen wirtschaftlichen Krisen, welche im Jahre 1873 und 1900 über Deutschland hereinbrachen, einer Reihe von Banken eine gute Gelegenheit, schwächer gewordene oder in Konkurs oder Liquidation getretene Banken aufzusaugen oder bei Sanierungen derselben mitzuwirken und so den eigenen Einfluss und Geschäftsumfang zu vermehren. Zu der konzentrationsfördernden Wirkung solcher Ereignisse trugen auch hier vielfach psychologische Vorgänge bei, z. B. der Eindruck der Tatsache, dass die Deutsche Bank am gleichen Tage, als die Zahlungseinstellung der Leipziger Bank zum grössten Schrecken weitester Kreise bekannt wurde, nämlich am 23. Juni 1901, publizierte, dass sie eine Filiale in Leipzig errichtete.

In zweiter Linie wirkte hier mit die gewaltige Verstärkung der industriellen Konzentrationsbewegung, welche in den Jahren 1893 und 1897 durch die Gründung des Rhein.-Westfäl. Eisen- und Kohlen-Syndikats eintrat. Denn falls es durch diese Kartelle gelang, der Preisschleuderei im Inland und der Konkurrenz des Auslands wirksam entgegenzutreten, war ein starkes Wachstum der industriellen Betriebe und der industriellen Konzentration sicher. Ebenso sicher war aber dann auch, dass jene Betriebe mit dem Kapital und Kredit ihrer bisherigen Bankverbindung allein nicht mehr auskommen konnten und dass nun jede Bank vor allem enge industrielle Verbindungen gewinnen musste. Hier gelang es nun wieder zuerst der Deutschen Bank gleich im Jahre 1897 durch den Abschluss einer Interessengemeinschaft mit der Bergisch-Märkischen Bank in Elberfeld und dem Schlesischen Bankverein in Breslau enge Beziehungen zur Industrie, bes. zur Montan-Industrie, in den industriereichsten Provinzen, Rheinland-Westfalen und Oberschlesien, herzustellen.

Mit diesem „kühnen Griff“, der zugleich den Anfang einer planmässigen Industrie-Politik im deutschen Bankwesen bezeichnet, begann ein bis in die heutigen Tage fortgesetztes Konkurrenz-Rennen der Kreditbanken behufs Herstellung besonders intimer industrieller Beziehungen, denen schliesslich durch Delegationen von Industrie-Kapitänen in den Aufsichtsrat der Banken und noch mehr von Bankdirektoren in den Aufsichtsrat industrieller Gesellschaften auch nach aussen ein weithin sichtbarer Ausdruck gegeben wurde.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/355&oldid=- (Version vom 12.10.2021)