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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Die Eigenheit des Aktienprinzipes ist eine doppelte: eine Anteilsberechtigung (share) und ein beschränktes Risiko (limited) der Teilhaber. Aus den Beiträgen vieler setzt sich ein grösserer Fonds zusammen. Jeder ist nach Massgabe der Grösse seines Beitrages anteilberechtigt, andererseits haftet keiner auf mehr als seine Einlage. Den Gläubigern soll also nur der Fonds als Exekutionsobjekt dienen. Sie haben keinen Zugriff in das Privatvermögen des einzelnen Aktionärs. Die Anteile sind gewöhnlich frei übertragbar, ja sogar börsenfähig, indem sie durch Wertpapiere verkörpert werden. Es hat also jeder die Möglichkeit, als Teilhaber beliebige Zeit zu fungieren. Die Teilhaberschaft wird damit Objekt der Spekulation und des Börsenspieles. Die Gläubiger müssen andererseits sicher gestellt werden dagegen, dass das ihnen dienende Exekutionsobjekt in Gestalt von Dividenden sich aus dem Staube macht, so dass sie bei ihrem Zugriff nichts vorfinden. Daher strenge Bestimmungen, welche den Gesellschaftsfonds zum Garantiefonds für die Gläubiger stempeln, das Grundkapital in die Bilanz als Passivum aufzunehmen gebieten, Dividendenzahlungen erst dann gestatten, wenn nicht bloss der Bilanzposten des Grundkapitals, sondern ausserdem noch ein weiteres Kapital, der Zwangsreservefonds, durch Aktivwerte gedeckt ist, eine vorsichtige Schätzung der Bilanzwerte erstreben, dem Gründungsschwindel entgegentreten, Uebergriffen der Organe, zumal des Vorstandes, zu steuern suchen; andererseits aber auch Vorschriften, die dem einzelnen Aktionär zugute kommen sollen (Schutz von Minoritäten-Anfechtungsklage bei ungesetzlichen Beschlüssen, Schaffung eines obligatorischen Aufsichtsrates). Der deutsche Gesetzgeber hat der Regelung dieser Form grosse Fürsorge zugewandt. Seit Schaffung des HGB. hat er nicht bloss das eigentliche Aktienrecht mehrfach revidiert, sondern auch durch Schaffung neuer Spielarten wirtschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen gesucht.

Das Aktienprinzip wird in Deutschland nämlich in vierfacher Form verkörpert: in der eigentlichen Aktiengesellschaft, in der Aktienkommanditgesellschaft, in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und in der Kolonialgesellschaft. Das Ausland kennt meist nur die beiden Typen der Aktiengesellschaft und Aktienkommanditgesellschaft und in der Tat ist zu sagen, dass der Luxus der deutschen Gesetzgebung nur die Folge einer ängstlichen Behandlung der Aktiengesellschaft ist, die das Bedürfnis nach einer neuen, weniger rigorosen Form erzeugte, während die ausländische Gesetzgebung bei einer elastischeren Ausgestaltung des Aktienrechts mit diesem Typus auskommt.

Die eigentliche Aktiengesellschaft wird im HGB. geregelt. Sie untersteht dem Normativsystem. Ein strenges Gesetz verlangt möglichste Offenkundigkeit aller wichtigen Hergänge, zivil- und strafrechtliche Bestimmungen suchen die Verantwortlichkeit von Gründern und Organen gegenüber den Aktionären und Gläubigern zu schärfen, ein grosser Apparat von Kontrollvorschriften gestaltet die Maschinerie nicht bloss zu einer komplizierten, sondern nicht selten auch schwerfälligen. Der statutarischen Autonomie wird verhältnismässig wenig Raum gewährt. Kleine Leute sollen fern gehalten worden, daher das Verbot, den Nennbetrag der Aktie unter 1000 Mark zu beziffern, von dem nur wenige Ausnahmen bestehen. Das Prinzip der beschränkten Haftung gelangt zu strikter, fast ausnahmeloser Durchführung. Darum ist die Aufbringung neuer Mittel nur durch Anleihe oder durch Erhöhung des Grundkapitals, die Abstossung überflüssiger Kapitalien (von Dividendenzahlung abgesehen) nur durch Rückzahlung von Anleihen oder Herabsetzung des Grundkapitals möglich. Die gesetzgeberische Regelung hat den Vorzug, leichtsinnige Gründungen zu erschweren. Aber sie eignet sich nicht für kleinere Unternehmungen, der Kraftaufwand steht nicht im Verhältnis zu den Mitteln. Sie eignet sich des ferneren nicht für Unternehmungen, die mit wechselnden Verhältnissen rechnen müssen, Geld aufnehmen und abstossen wollen, ohne auf den öffentlichen Markt zu treten. Und sie versagt bei überseeischen Unternehmungen, wo die Erfüllung der strengen Gesetzesbestimmungen fast zur Unmöglichkeit wird. Was von der Aktiengesellschaft gesagt ist, gilt in gleichem Masse für die Kommanditgesellschaft auf Aktien, eine Aktiengesellschaft, bei der aber ein oder mehrere Personen den Gläubigern persönlich unbeschränkt haften, als Vertreter und Geschäftsführer

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/334&oldid=- (Version vom 9.10.2021)